Vorsicht, Satire! Schlag den Löwen!
- VON ALEX AUGUSTIN
- 08.03.2017 19:00
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VON ALEX AUGUSTIN
Wäre der TSV 1860 München das Objekt einer Samstagabendshow, ProSieben hätte wohl seine wahre Freude. “Schlag den Löwen” würde lange Fernsehabende füllen, an denen der Sender sonst einfach eine VHS-Kassette mit allen Folgen von “The Big Bang Theory” abgespielt hätte. Das neue Format wäre da freilich aufregender. Die spannende Frage: Schafft es jemand, den Traditionsverein aus Giesing in die Knie zu zwingen? Ein Schauspiel in unzähligen Akten. In der Programmzeitschrift ist das Ende der Sendung mit 1.45 Uhr angegeben, aus Senderkreisen heißt es, man wolle sich darauf aber nicht festnageln lassen.
20.15 Uhr: Die Show beginnt. In raumgreifenden Schritten springt Moderator Frank “Buschi the Buschmaster” Buschmann förmlich die Treppe herab. “Heidewitzka, hier geht gleich Luzi ab” prophezeit der ewig Junggebliebene in gewohnt lockerer Sprache. Er freue sich auf viele namhafte Gäste, die dem Löwen “mal die Birne polieren” (O-Ton Buschmann). Dem Herausgeforderten räumt er ohnehin keine großen Chancen ein. “Eigentlich können wir den Laden hier gleich dicht machen”, meint er. Aber wie immer gelte: “Am Ende kackt die Ente.”
20.28 Uhr: Nach zehnminütiger Werbung geht das Duell in die erste Runde. Buschi begrüßt den ersten Gast: Kristina Ellwanger. Von einem “Star” wolle er nicht sprechen, sagt der Moderator, damit würde er alle “richtigen Stars” beleidigen. Ellwanger steigt in den Ring, geht sofort in die Offensive. Doch die Deckung des Herausgeforderten hält. Ellwanger gibt schon nach kurzer Zeit zerknirscht auf, ihr Betreuer Frank Schneider wischt ihr eine Träne aus dem Gesicht. Am nächsten Tag klagt sie in einem Boulevardblatt an: “1860 schmeißt Reporterin aus dem Ring - weil sie eine Frau ist.”
22.56 Uhr: Noch immer steht Sechzig relativ unbescholten im Ring. Einige Haken konnten ihm nichts antun. Nun steigt allerdings ein echtes Schwergewicht (so zumindest das Selbstbild) in den Ring: Karl-Heinz Rummenigge. Er trägt eine auffällige Armbanduhr an seinem Handgelenk, die er trotz Bedenken der Veranstalter nicht abnehmen wollte. Habe einen Haufen Geld gekostet, sagte er im Vorfeld der Show. Im Nachhinein stellt sich die Entscheidung als Fehler heraus. Der Klunker schränkt den Schlagarm doch sehr ein, am Ende hat er keine Chance. Im Publikum leuchtet ein rotes Licht auf. Es ist Uli Hoeneß. “Kalle, wir müssen reden!”, schallt es in schwäbischem Zungenschlag von den billigen Plätzen. Werbung.
02.23 Uhr: Nachdem sich unter anderem ein der Masse weitgehend unbekannter Fußball-Torhüter Phillip Heerwagen, der stets mit nassem Waschlappen im Mund redende Peter Neururer und der sich längst jenseits seines Trainer-Zenits befindliche Ewald Lienen erfolglos im Ring versucht haben, kommt es nun weit nach Mitternacht zur ultimativen Begegnung. Der Endgegner: Andreas Rettig. In gewohnt selbstverliebter Art kommt er ins Studio. Rettig muss gleich einen frühen Wirkungstreffer einstecken. Doch er rappelt sich schnell auf, in kürzester Zeit landet er zwei rechte Haken. Wobei das Studiopublikum stark bezweifelt, ob diese regelkonform waren. Nach etwas mehr als 90 Minuten gewinnt Rettig knapp 2:1 nach Punkten. Er lässt sich feiern, kann sich auch einige provokante Gesten gegenüber dem Verlierer nicht verkneifen. Doch was ist das? Der Ringrichter will dieses Verhalten überhaupt nicht dulden und disqualifiziert ihn nachträglich. Sechzig geht tatsächlich als Sieger von „Schlag den Löwen“ in die Nacht.
Wenige Monate später: In einer Spezial-Ausgabe des ProSieben-Klatschmagazins „Red“ macht sich Annemarie Carpendale auf die Suche des seit der „Schlag den Löwen“-Show spurlos verschwundenen Andreas Rettig. Insider berichten, er sei seit seinem peinlichen Jubel-Auftritt in der Sendung stark angeschlagen. Nach langem erfolglosen Bemühen geht Carpendale einem anonymen Hinweis nach. Und tatsächlich: Sie findet Rettig – völlig verwahrlost in einem Bauwerk, das einem Amateur-Fußballstadion verdammt ähnlich sieht, in Großaspach. „Es waren grausame Bilder“, spricht die Moderatorin entsetzt in die Kamera. Ende der Sendung. Es folgen 856 Folgen „The Big Bang Theory“.
Alex Augustin ist Gast-Kommentator bei dieblaue24. Der 22-Jährige volontiert zurzeit bei der Passauer Neuen Presse. Der Niederbayer aus Viechtach ist Löwe seit frühester Kindheit, hat die Leidenschaft von seinem Vater geerbt.