Heimat ohne Perspektive
- VON OLIVER GRISS
- 12.07.2017 22:15
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VON OLIVER GRISS
Emotional ist das Löwen-Comeback im Grünwalder Stadion vielleicht zu verstehen - aber mit Sicherheit nicht rational: Während alle deutschen Profiklubs ihr eigenes Schmuckstückchen schon besitzen oder noch anstreben, geht der TSV 1860, der immer noch Zehntausende mobilisieren kann, nach diesem merkwürdigen Zwangsabstieg in die Regionalliga Bayern in ein kaputt saniertes Stadion zurück. Und das nicht nur aus wirtschaftlicher Sicht - wie Geschäftsführer Markus Fauser betont, sondern auch um eine Minderheit von Traditionalisten glücklich zu machen. Dass man sich dieses Städtische Stadion mit den Damen und dem Nachwuchs des FC Bayern teilt, stört die weiß-blauen Stadion-Freunde in diesem Fall natürlich nicht. Hauptsache: Giasing, Oida!
Relativ schnell wird der TSV aber merken, dass der Verein in der Giesinger Kultstätte kein Geld verdienen, geschweige denn eine positive Zukunft haben kann. Genau davor haben die großen Helden des Klubs, Peter Grosser und Fredi Heiß, in den letzten Tagen eindringlich gewarnt. Das Stadion mit seinem Fassungsvermögen von nur 12.500 Plätzen (bei über 20.000 Mitgliedern!) wird den ewig klammen Verein blockieren. Viele Fans werden keine Karten bekommen, Werbeflächen sind Mangelware - und auch für potentielle Sponsoren und Investoren hat das Grünwalder gewiss keine Anziehungskraft. Dass auch Hasan Ismaik diesem Weg “Zurück in der Vergangenheit” zugestimmt hat, ist überhaupt nicht nachzuvollziehen.
Um eines klarzustellen: Auch ich habe großartige Erinnerungen an die Kultstätte an der Grünwalder Straße. Unvergessen ist das Spiel gegen Fürth am Gründonnerstag im Jahr 1984, als Wiggerl Kögl und Jürgen Korus beim 6:1-Triumph ihren Gegnern Knoten in die Beine dribbelten, oder das legendäre 3:3 am 11. Juni 1990 gegen Schweinfurt an einem Freitagabend (was zu wenig für die Aufstiegsrunde war) - aber auch das 4:1 in der Aufstiegssaison 1993/1994 gegen Bochum, als Bernhard Winkler einen Doppelpack erzielte, gehört zu den packendsten 1860-Spielen aus den letzten 40 Jahren in Giesing. Diese unvergessenen (aber viel zu wenige) Erlebnisse im Grünwalder Stadion will ich nicht missen, doch Jahrzehnte später habe ich auch kein Telefon mit einer Wählscheibe mehr, trage nicht mehr die selben Klamotten wie früher oder gehe noch in den selben Club auf Ibiza, um auf Techno zu tanzen. Zeiten ändern sich.
Sollte der TSV 1860 nicht schleunigst seine Neubaupläne für ein eigenes Stadion aufnehmen, wird der Verein mit seinem großen Kostenapparat in der Giesinger Heimspielstätte keine Perspektive haben.
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