Der Derby-Triumph über die Bayern - emotionaler als der erste Sex
- VON OLIVER GRISS
- 21.11.2019 23:05
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VON OLIVER GRISS
Wer diese hitzigen Stadt-Duelle zwischen Blau und Rot niemals erlebt hat, weiß nicht, wie es sich anfühlt und was man als Löwe oder Löwin eigentlich seit 15 Jahren verpasst…
Diese Spiele waren emotionaler als der erste Sex. Die Stadt München im Ausnahmezustand. Das Thema am Stammtisch, beim Bäcker oder Metzger: Sechzig gegen Bayern. Arm gegen Reich. Die Coolen gegen die Großkopferten aus der Schickeria. Nicht in der Regionalliga oder Dritten Liga, sondern in der Ersten Liga - im Fußball-Oberhaus. Ein Duell auf Augenhöhe. Immer vor 70.000 Zuschauern - und vor einem Millionen-Publikum an den TV-Geräten.
Wenn es am kommenden Sonntag im ausverkauften Grünwalder Stadion um die Wurst geht, dann kommen all die warmen und unvergessenen Erinnerungen wieder hoch, auch wenn’s nur gegen die “Zweite” der Roten geht.
Vor allem ein Aufeinandertreffen bleibt für jeden Nostalgiker jenseits der 35 unvergessen: Der 27. November 1999. Nach 22 langen Jahren gewann 1860 endlich wieder ein Bundesliga-Derby gegen das Millionen-Ensemble von der Säbener Straße. Es hätte locker 4:0, 5:0 für die Blauen ausgehen können, aber nur der junge Thomas Riedl überwand mit einem fulminanten Schuss den damaligen Welttorwart Oliver Kahn zum 1:0-Sieg. In diesen Sekunden blieb die Zeit stehen. Es waren Augenblicke für die Ewigkeit. In diesem Moment hat sich jeder Blaue unbesiegbar gefühlt. Das war kein Fußball-Spiel, es war ein Ereignis. Wildfremde Menschen busselten sich ab, tauschten Telefonnummern aus, um später gemeinsam zu feiern.
Ja, auch ich hatte Tränen in den Augen. Tränen der Freude. Ich war damals für die “Münchner Abendzeitung” als junger Reporter im Olympiastadion, um den Münchnern und Münchnerinnen die besten Derby-Geschichten aus 1860-Sicht zu liefern. Alles ohne Internet. Der Boulevard hatte München fest im Griff. Am nächsten Morgen hatte uns Werner Lorant (nach einer langen Party-Nacht im Löwenstüberl) bei einem seiner unzähligen “Expresso” erzählt, dass er diesmal mit seinem Cabrio über die Säbener Straße gefahren ist und ein paar Mal gehupt hätte. Lorant lachte und die Christl Estermann klopfte ihm stolz auf die Schulter. Aber auch die Story hinter Marco Kurz war beeindruckend: Der Kapitän hatte vor dem Derby nicht geschlafen, weil er in der Nacht auf Samstag im Krankenhaus war, als seine Tochter zur Welt kam. Und eigentlich sollte auch der spätere Derby-Held Thomas Riedl gar nicht spielen. Ein paar Monate später war 1860 Münchner Stadtmeister, weil auch das Rückspiel mit 2:1 an Blau ging. Deswegen sind alle Spieler, die damals dabei waren, wahre Helden des TSV 1860.
Sechzig gegen Bayern - das ist der Stoff, den München wieder braucht. Nicht im Aufkleber-Vergleich oder Pyro-Duell auf den Rängen, sondern auf dem grünen Rasen. Der große Fußball braucht Sechzig.
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