VON OLIVER GRISS

In der kommenden Woche kommt es möglicherweise im deutschen Fußball zu einer richtungsweisenden Entscheidung in der Corona-Krise: Wird die 1. und 2. Liga mit Geisterspielen fortgesetzt? Daran wird sich vermutlich auch die Dritte Liga orientieren, die in den letzten Wochen alles andere als ein geschlossenes und einheitliches Bild abgegeben hat. Fairplaygedanken? Solidarität? Das war einmal. Ein Konsens scheint nicht mehr möglich.

Zu unterschiedlich sind die Interessen: Die Vereine, die ihr Saisonziel gefährdet sehen, plädieren für einen sofortigen Abbruch mit dem Hinweis, dass sie im Falle des Restarts insolvenz-gefährdet seien; die, die noch im Aufstiegskampf verwickelt sind, wünschen sich die Fortsetzung der Saison, um an die prall-gefüllten Geldtöpfe der Zweiten Liga zu kommen. Die fünf bayerischen Klubs haben ein deutliches Statement abgegeben: Sie wollen die Entscheidung auf dem grünen Rasen herbeiführen. Schnell haben sich acht andere Klubs (u.a. Jena, Halle, Zwickau, Magdeburg und Mannheim) verbündet, die ein Gegenpapier entwarfen, dass die Liga abgebrochen gehört - mit dem wenig kreativen Vorschlag: Drei Aufsteiger (Duisburg, Mannheim, Haching), keinen Absteiger. Eigentlich sollten sich diese Klubs für ihren Vorschlag schämen. Besonders negativ stellt sich das abgeschlagene Schlusslicht Carl Zeiss Jena (16 Punkte Rückstand ans rettende Ufer) heraus.

Dass sich unter den Drittliga-Klubs inzwischen ein Kampf mit Haken und Ösen entwickelt hat, hat sich der DFB selbst zuschreiben. Zum einen, weil die Liga weiterhin ihrem Ruf als Pleiteliga gerecht wird - zum anderen, weil der DFB in seiner Öffentlichkeitsarbeit eine mehr als unglückliche Figur abgibt. Zurecht fühlen sich die Drittliga-Klubs, die um ihre Existenz kämpfen, vom mächtigen Verband im Stich gelassen.

Corona-Krise: Würden Sie ein Geisterticket fürs Grünwalder Stadion kaufen?

Umfrage endete am 03.05.2020 10:00 Uhr
Ja, selbstverständlich!
40% (1648)
Nein! Solange die beiden Gesellschafter nicht zusammen arbeiten, ergibt das keinen Sinn.
34% (1407)
Vielleicht. Ich warte mal ab, was mir 1860 im Gegenzug anbietet.
14% (563)
Nein! Ich verzichte schon auf die prozentuale Rückerstattung meiner Dauerkarte.
13% (552)

Teilnehmer: 4170

Gut, dass der TSV 1860 München, der auch drittklassig weiterhin zu den größten Traditionsklubs in Deutschland gehört, in Geschäftsführer Günther Gorenzel in diesen Tagen einen Mann gefunden hat, der den Finger in die Wunde legt und für die Interessen des Klubs kämpft. Das war bei 1860 nicht immer so. Mit Schrecken erinnern wir uns an den Sommer 2004, als der DFB öffentlich mitteilte, dass der Berliner Profi Marko Rehmer beim 1:1 gegen 1860 gedopt gewesen sei. Als die Nachricht pupliziert wurde, war der komplette Löwen-Troß im Trainingslager in Sterzing in Südtirol. Anstatt alle Hebel in Bewegung zu setzen, um vor Gericht den 19. Startplatz in der Bundesliga zu erzwingen, gaben die Löwen unter der Führung des überforderten Ex-Präsidenten Karl Auer schnell auf. Der Metzger aus Holzkirchen sagte zwar damals: “Wenn ich bei Rot über die Ampel fahre, kann ich ja auch nicht sagen, ich hab’ nix gemerkt. Unwissenheit schützt vor Strafe nicht, aber die Mannschaft, die das Vergehen begangen hat, wird belohnt, und wir sind die Deppen.” Hartnäckigkeit ließ Auer mit seiner Geschäftsführung aber nicht nur in diesem Fall vermissen: “Aber was soll ich gegen die DFL klagen? Das Ganze zurückdrehen geht sowieso nicht mehr.” In der Bundesliga hätten die Löwen allein rund 14 Millionen Euro aus dem TV-Topf erhalten. In der Zweiten Liga waren das dann bedeutend weniger.

Gorenzel, der in den letzten Wochen im Gegensatz zum farblosen 1860-Präsidium und seinem scheidenden Kollegen Michael Scharold deutlich an Profil gewonnen hat, wird in dieser Sache nicht klein beigeben. Das ist ein Vorteil für Sechzig, um nicht wieder leichtfertig mögliche Millionen-Einnahmen und eine bessere Spielklasse zu verschenken.