VON OLIVER GRISS

Diejenigen Buben und Mädels mit blauem Blut, die in diesem Jahr ihre Volljährigkeit feiern, haben eines nicht erlebt, was den Münchner Fußball eigentlich immer ausgemacht hat. Das Kräftemessen in der Stadt. Nein, nicht Wettkämpfe im drittklassigen Bereich zwischen den Bayern-Amateuren und den Profis des TSV 1860, sondern ein Bundesliga-Duell zwischen Blau und Rot, über das man in ganz Deutschland gesprochen hat. Das sind die Spiele, die das Salz in der Suppe garantieren. Darüber spricht München noch heute, das exklusive Knistern in der Stadt. Eine Ersatzdroge ist die heutige Drittliga-Partie für mich nicht, zumal der Löwen-Fan von der roten Bubi-Elf möglicherweise erneut vor Augen geführt bekommt, dass 1860 Lichtjahre vom Erzrivalen entfernt ist und selbst die Bayern-Amateure uns überlegen sind.

Vor 16 Jahren, im Abstiegsjahr des TSV 1860, trafen sich beide Teams im April 2004 letztmals in der Bundesliga - der Altmeister verlor denkbar knapp mit 0:1 durch ein Tor von Roque Santa Cruz. Seitdem haben sich die Vereine gegensätzlich entwickelt: Während die Bayern zu den größten Klubs der Welt gehören, ist der TSV seinem Ruf als unerfolgreicher Turn- und Sportverein einmal mehr gerecht geworden. Die Prioritäten haben sich bei den Löwen in den letzten Jahren verschoben.

Die Zeit ist an der Grünwalder Straße stehen geblieben. Teile der Fans leben ihren Traum in der Westkurve, am Grünspitz oder vor den Kneipen - was das mit Profifußball zu tun hat, erschließt sich für mich bis heute nicht. 1860 gegen Bayern ist für mich mehr als die Viertel mit Aufklebern vollzupappen und Wände zu beschmieren. Die Rivalität muss auf den Platz zurück. Derzeit steht 1860 im Bayern-Ranking auf Platz 9. Ein mittelfristiges Konzept für einen geplanten Zweitliga-Aufstieg fehlt bis heute.

Sportliche Ziele gibt es schon lange nicht mehr. Geschäftsführer Günther Gorenzel und Michael Köllner sind die Hände gebunden, weil die Gesellschafter sich nicht riechen können. Die einen verteidigen ihr Stadion, die Investorenseite wartet ab. Wenn sich das nicht ändert, werden uns nur noch die Geschichtsbücher an große Fußball-Tage erinnern. 1860 braucht einen gemeinsamen Weg - nicht wenige trauen dies Präsident Robert Reisinger und seinem Gefolge nicht mehr zu.

Das Problem: Tausende Fans haben längst resigniert, weil sie nicht mehr daran glauben, dass die zerstrittenen Löwen eines Tages wieder in die Bundesliga einziehen. Und genau das ist der Denkfehler. Wollen wir wirklich unseren Traum von einem echten Derby zwischen Blau und Rot aufgeben? Ich nicht!