VON OLIVER GRISS

Florian Hinterberger schlug braun gebrannt und gut gelaunt am Nockherberg auf, um sich dem Löwen-Podcast “Radis Erben” zu stellen. Wie immer bestellte er sich einen Kaffee. Den Rauswurf bei den Löwen hat der ehemalige Sportchef des TSV 1860 längst überwunden, auch weil er im Rückblick behaupten kann: Keiner hat mehr erfolgreicher auf der sportlichen Kommandobrücke mehr als er gearbeitet. In seiner Autobiografie “Er will halt nur Fußball spielen” (20 Euro, Arete-Verlag), für die er sich anderthalb Jahre Zeit gab, gewährt Hinterberger tiefe Einblicke in sein Leben und seine fußballerische Karriere. Gegenüber “Radis Erben” sprach der 61-Jährige über:

den Grund seiner Biographie: “Das ist kein Enthüllungsbuch, keine Abrechnung. Ich wollte diese Geschichten erzählen - ohne sagen zu müssen: Ja, das ist ein Meisterwerk. Ich weiß nicht, ob man sich dieses Buch als Löwen-Fan kaufen muss. Das ist ein Buch für jeden. Ich habe jedenfalls in den letzten Tagen von Tanten und Bekannten, die mit Fußball nichts zu tun haben, Rückmeldung bekommen, dass sie dieses Buch lustig finden: Die Domspatzen-Zeit, die Zeit beim Militär - sicher hängt der größte Teil mit dem Fußball zusammen. Im Moment habe ich sehr viele positive Rückmeldungen.”

sein Verhältnis zu Werner Lorant: “Die Wege von Werner und mir haben sich ja öfter gekreuzt. Ich bin als 18-jähriger Spieler in Fürth mal in seinen Ellbogen gelaufen, als er ein 34-jähriger Haudegen bei Eintracht Frankfurt - natürlich total unabsichtlich von seiner Seite aus (zwinker-zwinker). Ich habe ihn als beinharten Spieler kennengelernt. Den Namen “Beinhart” hat er ja erst als Trainer bekommen, den er eigentlich als Spieler auch schon verdient gehabt hätte. Ich habe auch bei Werner ein Praktikum gemacht. Das war eine Super-Zusammenarbeit, völlig unkompliziert. Später als U21-Trainer ebenfalls - wir haben sehr eng zusammengearbeitet. Immer wenn sie die Journalisten ihn gefragt haben ‘Was ist denn mit Benny Lauth?’, antwortete er: ‘Lauth? Kenn ich nicht!’ Lorant hatte sich dabei immer über Lauth informiert. Ich habe mir auch immer Sprüche von Lorant anhören dürfen: ‘Ja, da kommt er wieder, der Urlauber vom Starnberger See’ - damit die Rentner was zum Lachen gehabt haben.”

seinen Wechsel von Leverkusen als Europapokal-Sieger zu 1860 in die Bayernliga: “Das war eine Superzeit. Ich war acht Jahre im Rheinland, ich wollte wieder nach Hause - nach Bayern. Für mich kam nur Sechzig in Frage, weil die Zuschauerzahlen im Grünwalder teilweise höher als in Leverkusen waren. Auch der Fanzuspruch war erstliga-reif. Karsten Wettberg hat sich dann sehr bemüht, dass das klappt. Mein erstes Spiel war gegen Aufstiegsfavorit Unterhaching - 0:0. Und es waren über 20.000 Zuschauer da. Ich habe Libero gespielt, mit Thomas Miller und Reiner Maurer. Nach dem Spiel war ich heiser…Am Ende der Saison sind wir über die Aufstiegsrunde in die Zweite Liga aufgestiegen. Dieses Löwen-Jahr war gradios, wir hatten kein Spiel verloren. Das ist eine Riesenerinnerung.”

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seine Rückkehr 2011 als Sportdirektor: “Im Mai rief mich der damalige Präsident Dieter Schneider an, dass 1860 auf der Sportdirektoren-Position eine Änderung vornehmen wolle. Ich habe dann die Saison - frei von Abstiegssorgen - zu Ende gebracht - und es war nicht klar: Sind wir in der nächsten Saison ein Amateurverein - oder geht’s irgendwie weiter im Profigeschäft? Es ging nur um die Kohle. Und dann kam die Rettung mit Hasan Ismaik. Ich lese immer wieder: ‘Mei, wären wir damals lieber insolvent gegangen.’ Das können natürlich außenstehende Leute sagen, die nicht mit den Leuten zu tun haben, die Tag für Tag bei 1860 arbeiten und ihr Herzblut geben. Da kannst nicht einfach sagen: So, jetzt gehen wir insolvent! Und die ganzen Arbeitsplätze sind hin. Das kannst du nicht machen. Deswegen hat Dieter Schneider mit Robert Schäfer gekämpft - und so ging’s weiter mit dem Märchen von Orient…”

den Einstieg von Mehrheitsgesellschafter Hasan Ismaik: “Wir wollten Hasan Ismaik beweisen, dass wir solide arbeiten können. Es waren bestimmte Dinge vorgeschlagen: Konsoldieren, von den überhöhten Verträgen runter - und trotzdem schauen, dass man ein vernünftiges Ergebnis erzielt. Da hatte ich schon große Hoffnung, dass er uns mit dem finanziellen Hintergrund helfen kann. Und dann hieß es plötzlich: “Wir haben ein Sechs-Millionen-Loch.” Das ist mir heute noch ein Rätsel. Das war bockmist, wenn über Nacht zu den 12 Millionen Euro nochmal sechs Millionen dazugekommen sind. Ich hatte Angst, dass Ismaik abspringt, aber er hat’s trotzdem gemacht. Aber das hat natürlich den ersten Riss gegeben. Das ist vollkommen verständlich.”

die Zusammenarbeit mit Ismaik: “Ich hätte mir gewünscht, dass es besser geflutscht hätte. Ich habe ihn ja nur drei oder viermal getroffen. Da ging’s aber nur um Smalltalk. Wir haben ja nie ein Fachgespräch geführt. Ismaik hat es später ja zugegeben, dass er diese 50+1-Regel nicht richtig verstanden hat oder wollte. Er hatte eine Entourage an Anwälten. Ich hatte nie verstanden, warum man ihm das nicht rüberbringen konnte. Ismaik musste das erstmal verdauen, dass nicht alles angenommen wurde, was er vorgeschlagen hat, sondern, dass ein Geschäftsführer und Präsident auch noch andere Interessen wahren müssen. Das war für Robert Schäfer und Dieter Schneider auch nicht so einfach. Ismaik hätte bei uns keine 20 Millionen Euro gebraucht wie dann später. Solide Mittel hätten gereicht, vielleicht auf den dritten Platz zu kommen. Das ärgert mich auch heute noch, dass wir diese Chance verpasst haben. Natürlich wollte auch Ismaik Erfolg haben - aber sicher waren viele Dinge, die er gemacht hat, nicht zielführend. Ich glaube, dass er im Nachgang Dinge anders sieht.”

den Absturz von Sechzig: “Zu mir kam der neue Präsident Gerhard Mayrhofer und sagte: ‘Platz 6 in der Zweiten Liga ist nicht unser Anspruch!’ Ich glaube, heute wären sie alle froh darüber. Danach war’s 16, 15, 16 - und Abstieg. Das waren die drei Jahre danach. Mir war das im Jahr 2014 schon klar. Ich habe keinen Groll, ich habe mich immer angestrengt. Ich kann in den Spiegel schauen. Ich habe kein Geld verbrannt. Nix. Im Gegenteil: Durch meine Verträge ist noch Geld reingekommen. Als 1860 aus der Zweiten Liga abgestiegen ist, bin ich fassungslos daheim gesessen. Ich habe so eine tote Mannschaft - und ich habe viel gesehen - selten gesehen. Selbst als die Fans im Rückspiel auf die Barrikaden gingen, war komplett die Luft raus. Es war keine Mannschaft. Der Absturz in die Regionalliga war der Supergau.”

den Istzustand von 1860: “Gerade im Moment ist eine etwas perspektivlose Situation. Wo ist der Sonnenstrahl? Es ist alles ein bisschen verfahren. Seit diesem Jahrhundertabstieg 2017 ist es auch für mich ein bisschen frustrierend, weil es immer schwieriger wird und sich die Fanlandschaft völlig zerteilt. Es gibt ja nur noch die Frage: Bist du das Lager oder das? Du hast definitiv ein Stadion-Problem, auch wenn das Grünwalder Stadion natürlich für Nostalgie sorgt. Natürlich ist das toll, aber du musst auch wirtschaftlich denken. Es ist kein definitiver Plan da: Was will man eigentlich? Will man Grünwalder und Nostalgie - oder doch höchstmögliche Liga und größtmöglichen Erfolg? Dazu braucht man aber auch Wirtschaftskraft. Ich habe in meinem Buch auch die These aufgestellt: 1860 positioniert sich weg von diesem Supergeld, von diesem Merchandising, was ja den Fans nicht mehr gefällt - man könnte ja die andere Nische besetzen. Wie Austria Salzburg. Das wäre sympathisch. Aber Sechzig war Deutscher Meister, Pokalsieger - Sechzig ist ein Traditionsverein. Da geht das nicht. Ich habe als fiktives Beispiel den VfR Garching genannt, der gern in der Regionalliga bleibt.”

die ewige Stadion-Diskussion ums Grünwalder: “Wenn’s ausgebaut wird, kannst du irgendwie die Kosten pari halten, aber du wirst keine großen Sprünge machen können. Ausbauen auf 18.000 - das wäre der kleinste gemeinsame Nenner. Im Moment gibt es ja keine andere Alternative. Dass die 30 Millionen Euro für 3000 Plätze mehr, schwer vermittelbar sind, ist das andere. Ich bin auch der Meinung, dass 1860 ein anderes Stadion bräuchte - wie in Regensburg oder Augsburg.”