VON OLIVER GRISS

Natürlich, für einen kleinen Verein wie die SpVgg Unterhaching ist das Derby gegen den TSV 1860 das Highlight des Jahres - einmal in der Saison klingelt’s in der Vereinskasse richtig. Normalerweise. Doch in diesem tristen Pandemie-Jahr ist alles anders. Hachings Präsident Manni Schwabl muss auf den großen Zahltag verzichten. Statt 15.000 Fans dürfen - Stand heute - 1500 Dauerkarten-Inhaber beziehungsweise Haching-Mitglieder bei diesem sportlichen Leckerbissen im Alpenbauer-Sportpark “mitfiebern”. Nein, das ist kein Scherz: Das Landratsamt München macht’s bei einer Inzidenzzahl von 82,7 - was mit der Corona-Stufe rot gleichzusetzen ist - möglich. Klar, dass sich Haching dieses Strohhalms bedient. Es geht schließlich um die wirtschaftliche Existenz. Ums Überleben.

Doch dieser Schritt ist angesichts der steigenden Fallzahlen und des drohenden zweiten Lockdowns in jedem Fall zu hinterfragen, denn er weckt nicht nur bei 1860 das Gefühl eines gravierenden Wettbewerbnachteils, sondern ist zudem absolut unvernünftig. Die Gesundheit sollte nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden. Kein Derby der Welt darf über dem Wohl der Menschen stehen.

Warum sich der Landkreis München nicht mit der Stadt München abstimmt, ist ebenso kritisch zu hinterfragen. Stand jetzt wird 1860 in diesem Jahr vermutlich nicht mehr vor Fans im Grünwalder Stadion spielen - und das gilt es zu akzeptieren. Das ist keine Willkür von OB Dieter Reiter, sondern dient der allgemeinen Sicherheit.

Fußballfans können den durch die Politik veranlassten Liebesentzug teilweise nicht nachvollziehen - ein Denkfehler, denn je länger das Virus verharmlost wird, desto länger müssen wir alle mit dieser Ausnahmesituation klarkommen. Es ist auch nicht fair gegenüber den anderen Leidensgenossen aus dem eigenen Verein trotz klarer Spielregeln quer durch Deutschland zu reisen, um seine Mannschaft zu supporten (und dann provozierend aus Zwickau oder Rostock Selfies zu posten) - während sich andere Fans daheim vor dem TV-Gerät ärgern und teilweise feststellen, dass sie sich aufgrund der Umstände irgendwie vom Fußball entlieben.

Ich habe mich vor einer Woche entschieden, dem Rat der Politik zu folgen und aus dem Risikogebiet München nicht ins 840 Kilometer entfernte Rostock zu reisen - obwohl ich als ausgebildeter Journalist die Option gehabt hätte. Nicht ideal, aber vernünftig. Seit dem ersten Lockdown im März ist auch für mich improvisieren angesagt. Auch unser Beruf hat sich durch Corona leider massiv verändert. Zoom (digitale Übertragung) ist Trumpf in diesen Monaten. Alles nicht schön, zumal wir neben den persönlichen Gesprächen vor allem auch den von Eindrücken leben.

Jeder sollte sich aber in dieser schwierigen Zeit zurücknehmen und nicht den Ego-Trip fahren. Nur dann gibt es Hoffnung auf Besserung.