VON OLIVER GRISS

Für 1860-Allesfahrer Roman Wöll (66) ist am Morgen des 24. Dezembers Routine angesagt: Er besucht wie jedes Jahr mit seiner Frau Christa das Familiengrab im Ostfriedhof. Bei dieser Gelegenheit schaut er auch am Grab von 1860-Legende Rudi Brunnenmeier vorbei, das nur zehn Meter von den Wölls liegt. Auch heute war es nicht anders. “Ich habe natürlich für unseren Rudi eine Kerze angezündet und auf sein Grab gelegt”, erklärte Wöll gegenüber db24.

Von Routine kann man in Wölls Fanleben schon lange nicht mehr sprechen. Seine letzte Auswärtsfahrt (3:0 in Jena) liegt über neun Monate zurück. Die Pandemie hat Wölls Leben entscheidend verändert. “Es ist nichts mehr wie früher”, klagt der gebürtige Münchner: “2020 geht für mich als traurigstes Jahr in die Geschichte ein. Ich will mich nicht beschweren, wirklich. Andere sterben an Corona, ich bin gesund - aber ohne Sechzig fehlt mir einfach alles. Aber ohne Stadion und meine Freunde von 1860 bin ich nicht vollständig. Ich lebe ein anderes Leben als vorher. Das Fangefühl ist weg. Was ich bei vielen Fans raushöre: Sie entfremden sich immer mehr von 1860.” Bei Svend Friderici, einer aus dem Allesfahrer-Bus, ist das anders. Er steht mit Wöll im täglichen Kontakt. “Er ist fix und fertig, ihm fehlt die Mannschaft, der Austausch mit den Spielern, der VIP-Raum. Aber die Liebe zu 1860 ist größer.”

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Die Liveübertragungen im TV seien für Wöll kein Ersatz: “Das ist ein anderes Fußball-Erlebnis. Ich brauche die Mannschaft, das Stadion, um glücklich zu sein.” Wöll tickt sowieso anders als der Großteil der Fangemeinde. Weil die Telekom Sponsor des FC Bayern ist, verzichtet er auf den Kauf eines MagentaSport-Abos. “Jeder, der die Roten unterstützt, den unterstütze ich nicht mit meinem Geld”, sagt der Kult-Fan. Wenn die Löwen nicht in den öffentlich-rechtlichen Sendern laufen, dann bekommt er aber den Zugangscode für MagentaSport von Freunden.

Immerhin ist Wöll nun seit einigen Monaten erstmals stolzer Besitzer eines Smartphones. So bekommt er alle Löwen-Meldungen aufs Handy geliefert. “Das ist mir schon eine große Hilfe”, sagt er schmunzelnd. Und natürlich ist db24 eine seiner wichtigsten Bezugsquellen.

Dass bald die Normalität einkehrt, glaubt Wöll nicht. Er rechnet auch die nächsten Monate mit leeren Stadien. “Das Schlimmste wäre für mich: 1860 steigt auf, feiert auf dem Rathausbalkon - und keiner bekommt´s mit. Das wäre ein Tiefschlag in die Magengrube. Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Ich wünsche mir den Aufstieg in die Zweite Liga.” Dass die Löwen auf Platz 3 den Jahreswechsel begehen, bewertet Wöll als eine kleine Sensation. “Das ist sehr, sehr positiv”, sagt der Allesfahrer, der besonders Trainer Michael Köllner und Sascha Mölders herausstellt: “Köllner macht einen richtig guten Job - und Mölders steht sowieso über den Dingen. Dass er nochmal so durchstartet, hatte ihm keiner zugetraut. Mich freut’s richtig. Dass wir da oben stehen, ist sein Verdienst. Es wäre ein Riesenfehler gewesen, wenn man ihn im Sommer nicht behalten hätte. Deswegen wünsche ich mir, dass der Verein Mölders belohnt.” Mit einem neuen Einjahres-Vertrag.

Wer ist das Löwen-Gesicht des Jahres 2020?

Umfrage endete am 30.12.2020 09:00 Uhr
Sascha Mölders
44% (5724)
Michael Köllner
35% (4522)
Hasan Ismaik
6% (756)
Tim Rieder
5% (715)
Marc-Nicolai Pfeifer
2% (295)
Dennis Dressel
2% (237)
Robert Reisinger
2% (198)
Marco Hiller
1% (179)
Richard Neudecker
1% (132)
Stefan Lex
1% (98)
Efkan Bekiroglu
1% (95)
Daniel Wein
0% (64)
Quirin Moll
0% (48)
Günther Gorenzel
0% (36)

Teilnehmer: 13099

Und Wöll investiert auch in die Löwen-Zukunft. Als am 3. Dezember seine Enkelin Apollonia geboren wurde, meldete er sie wenige Stunden später als 1860-Lebensmitglied an. Der Preis? 1860 Euro! “Inzwischen haben wir fünf Lebensmitgliedschaften in der Familie”, sagt Wöll nicht ohne Stolz: “1860 nimmt einen großen Teil in unserem Leben ein.”