Wettberg im db24-Interview: "Endlich Ruhe im Verein - es wäre jammerschade, wenn 1860 jetzt abreißen lässt"
- VON OLIVER GRISS UND IMAGO (Foto)
- 25.02.2021 19:37
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VON OLIVER GRISS UND IMAGO (FOTO)
Karsten Wettberg (78) ist eine lebende Legende des TSV 1860. Er gilt als ungekrönter König von Giesing. Mit den Löwen stieg er 1991 nach 54 Spielen ohne Niederlage in die Zweite Liga auf. Später war er auch Vize-Präsident des TSV 1860. Vor dem S-Bahn-Derby im Grünwalder Stadion (Freitag, 19 Uhr, db24-Ticker) sprachen wir mit dem Kult-Löwen. Das db24-Interview:
db24: Herr Wettberg, Sie haben vor einiger Zeit gesagt: Der Münchner Meister in der Dritten Liga steigt auf - gilt diese Aussage aus dem Oktober 2020 noch immer?
KARSTEN WETTBERG: Ja, es ist immer noch möglich, aber ich nehme in die Verlosung mit Sicherheit nicht mehr Unterhaching dazu (lacht). Aber 1860 und Türkgücü kann der Aufstieg noch gelingen. Beide Mannschaften haben noch alle Möglichkeiten.
db24: Auch wenn die Tendenz bei 1860 zuletzt negativ war?
In der Dritten Liga kann sich das schnell ändern. Mit einem kleinen Lauf bist du sofort wieder oben dabei, aber 1860 muss jetzt eine Siegesserie starten - ohne Wenn und Aber. Nach dem Wochenende wissen wir mehr, ob’s noch reicht. Meiner Meinung nach können - Stand jetzt - noch sieben Mannschaften aufsteigen, wobei ich Dresden, Ingolstadt, Rostock und Wehen Wiesbaden die größten Chancen für die Aufstiegsplätze einräume.
db24: Können Sie das begründen?
Dresden hat seine Schwächeperiode am besten gemeistert, Ingolstadt hat sehr viel Qualität im Kader - und Wehen Wiesbaden hat mit Rüdiger Rehm einen super-starken Trainer, der es wieder geschafft hat, hochkarätige Abgänge zu kompensieren. Rostock hat sich in der Winterpause nochmal gezielt verstärkt. Es wäre jammerschade, wenn 1860 jetzt abreißen lässt - zumal endlich einmal angenehme Ruhe im Verein herrscht und Investor Hasan Ismaik nicht beleidigt wird.
db24: Die Fans diskutieren unterschiedlich über die Qualität der Mannschaft: Wie bewerten Sie die Kaderplanung der Löwen?
Charakterlich ist die Mannschaft voll in Ordnung, da gibt’s gar nichts auszusetzen. Das ist top. Aber es fehlen die Alternativen, die Breite. Ich bin mit der Auswahl der Neuzugänge außerdem nicht zufrieden. Ich sehe nicht die Qualität, die wir bräuchten. Mir kommt es manchmal so vor, als wenn sich die Löwen die Spieler nicht selbst vorher ansehen, sondern nur nach Videomaterial scouten. Das Scouting bei 1860 ist nicht gut. Mir klingt das noch in den Ohren, als Günther Gorenzel gesagt hatte, man hole nur noch Spieler, die zu 100 Prozent sportlich und menschlich passen.
Ich bin mit der Auswahl der Neuzugänge nicht zufrieden
db24: Können Sie Ihren Vorwurf konkretisieren?
Nehmen wir Merveille Biankadi. Ich vermisse bei ihm Schnelligkeit und Athletik. Das sehe ich nicht. Und wenn ich schon dabei bin: Die Verpflichtung von Martin Pusic war ein Griff ins Klo. Klar, er war vor Jahren mal Torschützenkönig in Dänemark. Aber wenn einer bereits 16 Vereine zuvor hatte, dann muss man als 1860 vorsichtig sein. Und das mit dem jungen Tim Linsbichler ist natürlich Pech, da kann ich mir noch kein Urteil erlauben. Aber ich kann mir ein Urteil darüber bilden, dass wir im Winter es mit dieser guten Ausgangsposition versäumt haben, die Mannschaft zu verstärken - erst recht nach der Kreuzbandverletzung von Quirin Moll. Ich frage mich: Was macht 1860, wenn sich Sascha Mölders verletzt? Wer soll dann die Tore schießen? Und was ich auch nicht hören kann, wenn immer wieder gepredigt wird, 1860 sei vor der Saison Abstiegskandidat gewesen. Da lach ich mich krank! 1860 muss in der Dritten Liga mit diesem Umfeld, mit diesen Fans immer ein Aufstiegskandidat sein. Es kann nicht der Anspruch von 1860 sein, irgendwann den Titel des Drittliga-Dinos zu gewinnen. Und ich behaupte: Es wird jedes Jahr schwieriger aufzusteigen.
db24: Der TSV 1860 ist nach der 1:2-Pleite in Saarbrücken auf Platz 6 abgerutscht. Was könnte man jetzt am zur Verfügung stehenden Kader noch verbessern?
Ich will mich nicht als Oberlehrer aufspielen, aber ich würde Stefan Lex wieder als hängende Spitze aufstellen. Er ist der schnellste Spieler in der Dritten Liga. Auf der Außenbahn nimmt man ihm die Qualität und Dynamik. Lex hat seine besten Spiele im Löwen-Trikot direkt hinter Sascha Mölders gemacht. Dann hat er den Raum, den er für sein Spiel braucht - und der von mir hochgeschätzte Mölders müsste sich die ersten 45 Minuten nicht alleine hoch anlaufen. Würde Lex wieder in alter Rolle spielen, würde auch Mölders noch gefährlicher werden. Ich verstehe auch nicht, warum Talente wie Dennis Dressel und Semi Belkahia wochenlang draußen sitzen. Ich betrachte Dressel als Riesentalent, weil er aus der zweiten Reihe schießen kann. Genauso Semi Belkahia. Ich würde mich wundern, wenn sich nicht schon Zweitligisten mit ihm beschäftigen. Warum setzt man nicht auf solche Spieler?
db24: Jetzt kommt’s zum Duell Ihrer beiden Ex-Klubs 1860 und Haching. Beide Teams schwächeln, wobei die Löwen natürlich eine komfortablere Ausgangsposition als die Vorstädter haben. Was wird das für ein Spiel werden?
Meine Gefühle gehen durcheinander. Ich bezeichne mich als enger Freund von Manni Schwabl, aber ich würde 1860, das als hoher Favorit ins Spiel geht, den Sieg wünschen - danach kann Haching meinetwegen jedes Spiel gewinnen. Warum aber einige Löwen-Fans Manni Schwabl jetzt auslachen, kann ich nicht nachvollziehen. Schwabl ist ein feiner Kerl mit Löwen-Herz.
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db24: Wie konnte Haching so abstürzen?
Die Hachinger haben die Verletzungsseuche: Stephan Hain, Dominik Stahl - das sind die zwei wichtigsten Leistungsträger. Sie fehlen seit Monaten. Und Dominik Stroh-Engel ist auf der Zielgeraden seiner Karriere. Menschlich stimmt alles in Haching, aber die Ergebnisse fehlen. Ich wünsche Manni Schwabl von ganzem Herzen, dass er den Klassenerhalt noch schafft.