VON OLIVER GRISS

München ist ein richtig teures Pflaster. Das ist anders als in Zwickau, Bayreuth oder Mannheim. Wer in der Landeshauptstadt wohnt, kann ein Lied davon singen. Als ich 2019 nach einem kurzen Abstecher im Outback zurück in meine wunderbare Heimatstadt gezogen bin - und noch dazu in ein Viertel, das prinzipiell zu den schönsten gehört, habe ich einen Index-Mietvertrag unterschrieben. Was das heißt? Der Mietvertrag für unsere Altbauwohnung (Anfang 19. Jahrhundert) passt sich u.a. der Inflationsrate an.

In diesem Sommer habe ich eine Mietsteigerung um mehr als sieben Prozent aufgedrückt bekommen - und das obwohl ich beim Einzug doch einige Kompromisse eingegangen bin: Ja, das alte ungemütliche Bad hat mich gestört - und auch die Wärmedämmung ist nicht so, wie man sich das eigentlich erwartet hat. Aber dass ich wegen dieser Mängel auf Mietminderung poche? Nein! Keiner hatte mich gezwungen, diesen zweifelsfrei sportlichen Mietvertrag zu unterschreiben.

Warum ich diese Einleitung gewählt habe? Sie erinnert mich einfach zu stark an den Giesinger Irrgarten. Die Löwen sind nach dem Zwangsabstieg 2017 ins kuschelige Grünwalder Stadion umgezogen - ohne vorher die Rechnung zu machen, ob die Kultstätte am Giesinger Berg auch rentabel für die Pläne des TSV 1860 ist, um ein Unternehmen zu finanzieren. Genau darauf spielt auch jetzt Bürgermeisterin Verena Dietl im “SZ”-Interview an: “Bei vielen Dingen, bei denen 1860 im Nachteil ist, wussten die Verantwortlichen ja, worauf sie sich einlassen mit der Rückkehr ins Grünwalder Stadion. Etwa, dass VIP-Loungen fehlen und deshalb zusätzliche Kosten über die entfernt gelegene VIP-Alm entstehen. Oder dass sie zu wenige Sitzplätze haben. All das war bekannt.”

Muss 1860 vom Grünwalder Stadion endgültig loslassen?

Umfrage endete am 09.11.2022 10:00 Uhr
Nein, Giesing ist unsere Heimat!
50% (7285)
Ja, bitte!
50% (7146)

Teilnehmer: 14431

Die, die sich seit 30 Jahren mit dem Stadion intensiv beschäftigen, wussten, dass die Rechnung nicht aufgehen kann. Aufgrund der fehlenden Wirtschaftlichkeit hat der TSV die Kultstätte Mitte der 90er verlassen. Nicht um die Stadion-Fans zu brüskieren, sondern den Löwen eine sportliche Zukunft zu schenken. Und das hat auch fast zehn Jahre im Olympiastadion funktioniert: 1860 etablierte sich in der Bundesliga, spielte im Europacup - und besiegte auch zweimal die großen Bayern in einer Saison.

Ergo: Nicht die Stadt München ist schuld, dass das Grünwalder Stadion nicht wirtschaftlich genug ist und der Traditionsklub nicht wachsen kann, sondern die Löwen ganz allein selbst. Im Sommer 2017, als Mehrheitsgesellschafter Hasan Ismaik die Zahlung für die Drittliga-Lizenz verwehrte, unterschrieb der mit 50+1 eingesetzte Interims-Geschäftsführer Markus Fauser einen Vertrag fürs Grünwalder Stadion inklusive dem kostspieligen MVV-Ticket.

Nach db24-Informationen sollen die Bayern sehr überrascht gewesen sein, dass man nicht auf einen weiteren Verbleib in der Allianz Arena gepocht hat. Es heißt, die Bayern wären auf jeden Fall gesprächsbereit gewesen, was Ex-Präsident Peter Cassalette immer wieder bestätigt. Diese Option nutzte man aber nicht - auch weil Präsident Robert Reisinger (Beruf: Unternehmensberater) damals in der “SZ” sagte: “Mir ist nur wichtig, dass das mit dem Auszug klappt.” . Heute sind die Bayern der reichste Verein der Welt - vor allem auch durch die Allianz Arena, die kurz nach dem Löwen-Abschied aus Fröttmaning mit roten Sitzen ausgestattet worden ist. Die Roten klopfen sich noch heute auf die Schenkel, dass 1860 aus Fröttmaning flüchtete - obwohl das Stadion vertraglich für zwei Vereine gebaut worden ist.

Es war nicht nur ein teurer Auszug, sondern auch ein unüberlegter in eine Sackgasse, die den TSV 1860 einmal mehr limitiert. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass das Grünwalder Stadion ein Jahr Freude in der Regionalliga Bayern gebracht hat und vor allem Umsätze in den Giesinger Gaststätten. Aber war es das wert? Viele Chancen wird der Löwe jetzt nicht mehr bekommen, um seine strategischen Fehler zu korrigieren. Der Stadion-Gipfel im Rathaus, der im November über die Bühne gehen soll, ist vermutlich die letzte Chance für 1860.