VON OLIVER GRISS UND BERND FEIL (FOTO)

Ohne großes Aufsehen hat der TSV 1860 am Mittwochnachmittag eine Nachricht auf seiner Webseite verpackt, die für Grummeln in der Mannschaft gesorgt haben dürfte: Michael Köllner, der als Cheftrainer weitermachen darf, hat den Urlaub seiner Spieler verkürzt - als Maßnahme für das schwache Abschneiden in den letzten Wochen. Statt am 2. Januar 2023 treffen sich Lex, Bär & Co. schon am 27. Dezember wieder an der Grünwalder Straße 114. Gut möglich, dass der ein oder andere Profi seine bisherige Urlaubsplanung neu ordnen muss. Aber wie sagt man so schön: Selbst schuld! Die Wohlfühloase ist vorerst mal vorbei. Köllner kündigte bereits nach dem ärgerlichen 1:1 gegen Essen an: “Wir werden hart und lange arbeiten, damit wir in Mannheim voll da sind.” An der Grünwalder Straße sind genügend Baustellen zu finden - db24 zeigt auf, in welchen Bereichen angepackt werden muss:

Die Suche nach der perfekten Stamm-Mannschaft: Der Kader ist - wenn alle Mann an Bord sind - vielseitig und qualitativ gut besetzt. Doch Michael Köllner hat es in den vorangegangenen 17 Drittligaspielen nicht geschafft, eine erste Elf zu finden. Natürlich war dies auch dem Verletzungspech (u.a. Marcel Bär oder Stefan Lex) geschuldet, aber die Winterpause muss jetzt dazu dienen, Formationen und Abläufe einzustudieren. Teilweise wussten die Spieler nicht, woran sie sind - das sorgt für Misstöne innerhalb der Kabine.

Der Spaß muss zurück: Wer die Löwen am Mittwoch auf dem Trainingsplatz beboachtete, stellte schnell fest. Die Überzeugung und der Teamspirit sind verflogen. Nach db24-Informationen wünschen sich einige Spieler auch einen Aufenthaltsraum, um zwischen den Einheiten die Zeit miteinander zu verbringen - Fehlanzeige! Mit diesem Problem hatten die Sechziger schon zu Bundesliga-Zeiten zu kämpfen. In der Abstiegssaison 2016/2017 wurde kurzfristig eine Räumlichkeit in der Geschäftsstelle geschaffen. Dieser Raum wird längst wieder anderweitig genutzt. Auch der Whirlpool im Kabinentrakt soll seit einiger Zeit nicht benutzbar sein. Das Thema “gesunde Ernährung” beschäftigt ebenfalls die Kicker.

Die Anfälligkeit bei Standardsituationen: Dass die Löwen sich immer wieder Standardtore fangen - wie gegen Essen (1:1) und Saarbrücken (0:1) - ist kein Zufall. Die Abstimmung zwischen Torwart Marco Hiller und dem Abwehrverbund ist teilweise mangelhaft. Das ist aber nicht allein Trainersuche, sondern auch dem fehlenden Verantwortungsbewusstsein der Spieler geschuldet. Stichwort: Eigenverantwortung.

Der fehlende Verbindungsspieler: Noch in der Sommerpause hatte Michael Köllner die richtige Nase und wollten einen Achter verpflichten (Kreativität und Torgefahr), um das zentrale Mittelfeld mit Leben zu füllen - warum die Löwen dann von diesem Transfer Abstand genommen haben, ist wohl damit zu erklären, dass das Budget bereits ausgereizt war. Spart man wieder an der falschen Stelle? Es ist unübersehbar, dass den Löwen dieser Spielertyp im Kader fehlt, auch weil Neuzugang Martin Kobylanski körperlich bislang nicht im Stande ist, diese Lücke zu schließen. Albi Vrenezi und Jo Boyamba sind für diese Rolle nicht gemacht. Sie brauchen Platz für ihr Spiel!

Harmlosigkeit bei eigenen Standards: In der Dritten Liga werden mehr als 50 Prozent der Spiele durch Standards gewonnen - die Löwen konnten in diesem Segment nur selten punkten: Beim 2:0 in Osnabrück, als Phillipp Steinhart mit einer Ecke für Jesper Verlaat servierte - und 4:0 gegen Meppen, als Albion Vrenezi Vorlagengeber für Fynn Lakenmacher war. Um in dieser Disziplin besser zu werden, muss das Training dienen. Auch gerne mal nach der offiziellen Einheit.

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Die spielerische Linie: Wurde in den letzten Wochen über den Haufen geworfen - was natürlich auch mit der Unsicherheit und der fehlenden Leichtigkeit zu tun hat. Auffällig: 95 Prozent der Teams tun sich in der Dritten Liga schwer, das eigene Spiel anzukurbeln. Die einzige Ausnahme: Herbstmeister SV Elversberg, der im Gegensatz zu den Aufstiegskandidaten ohne Druck agieren kann. Die Saarländer, im Sommer erst aufgestiegen, spielen einen erfrischenden Angriffsfußball. Ein Gegenmittel bei 1860 könnte ein gut durchdachtes Flügelspiel mit den schnellen Außenbahnspielern Vrenezi/Boyamba sein.

Köllner muss Härte reinbringen: In der Vorsaison hatten Sascha Mölders und Richard Neudecker über weite Strecken einen Freifahrtsschein bei 1860 - vor allem im Fitnessbereich: Während Mölders stolz auf sein Giesinger Bäuchlein war, war Neudecker nach 60 Minuten im roten Bereich. Köllner schaute zu lange zu - ähnlich wie jetzt bei Martin Kobylanski. Der Edeltechniker schleppt sich über den Platz, kann seine Qualität nicht einbringen. Der Ex-Braunschweiger muss dringend abspecken, um geschmeidiger zu werden - warum nicht einen eigens erstellten Fitnessplan für den Ex-Braunschweiger?

Die Kader-Analyse: Als sich Torschützenkönig Marcel Bär im DFB-Pokal-Spiel gegen Dortmund (0:3) den Mittelfuß brach und damit klar war, dass er die Vorrunde nicht mehr richtig helfen kann, hätten die Alarmglocken an der Grünwalder Straße 114 schrillen müssen. Die Löwen gaben sich etwas naiv und vertrauten auf ihr junges Offensivpersonal: Fynn Lakenmacher und Meris Skenderovic mühten sich nach Kräften, konnten das Bär-Vakuum aber nicht so recht ausgleichen. Zumal auch früh zu erkennen war, dass sich Kapitän Stefan Lex mit gesundheitlichen Problemen herumschlägt. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte 1860 im Sturmbereich nachladen müssen. Jetzt sollte man die Situation neu bewerten, ob man Bär und Lex eine sorgenlose Rückrunde zutraut.

Die negative Energie über Sechzig: Der Slogan “Gemeinsam” wird immer wieder an der Grünwalder Straße propagiert - doch davon ist nicht viel zu sehen: Während sich Mehrheitsgesellschafter Hasan Ismaik seit Jahren zurückhält und nur mit aufmunternden Statements auf Facebook in Erscheinung tritt, kommt es immer wieder zu internen Störfeuern - ausgelöst auch durch e.V.-Präsident Robert Reisinger. Auffällig war in den letzten Monaten immer wieder, dass der Ober-Löwe zu ungünstigsten Terminen Statements absendete, die die Arbeit der Profiabteilung schwächen. Im Sommer kritisierte er beispielsweise öffentlich das Testspiel gegen Newcastle United - und vor einigen Wochen das Belek-Trainingslager im Fünf-Sterne-Hotel Regnum. Reisinger motzte: “Das hat Champions League-Niveau, kostet fast die Hälfte mehr als letzte Saison. Wir rühmen uns immer mit Fan-Nähe, verbarrikadieren uns jetzt aber in einem sündhaft teuren Hotel und schließen die Anhänger aus, das ist nicht 1860, wie ich es verstehe.” Die Löwen hatten diese Unterkunft gewählt, weil sie dort einen Rasenplatz für sich alleine haben. Warum die Geschäftsführung sich die ständigen Sticheleien gefallen lässt, kann sich jeder selbst beantworten. Dazu kommt die Eiszeit zwischen Trainer Köllner und Reisinger. Immer wieder gibt Reisinger (58) dem sechs Jahre jüngeren, aber gebildeten Köllner Verhaltenstipps - das ist urkomisch, zumal Köllner der mit Abstand beste Repräsentant des Klubs ist. Es ist kein Zufall, dass diese Komödie stark an die Bierofka-Zeit erinnert. Wird also alles getan, um Sechzig erfolgreich zu machen? Es reicht nicht aus, nach den Partien auf den Platz zu gehen und den Spielern auf die Schulter zu klopfen.