VON OLIVER GRISS

Wie stark ist der deutsche Fußball wirklich?

Seit dieser Woche sind wir alle wieder ein bisschen schlauer: Nach dem desaströsen WM-Auftritt in Katar mit dem Vorrunden-Aus der DFB-Auswahl hat auch die Bundesliga nicht gezeigt, dass sie zu den besten Ligen Europas gehört: Nur der FC Bayern (mit zwei verdienten Siegen gegen Paris) und Bayer Leverkusen, das gestern gegen die ungarische Mannschaft Ferencvaros Budapest weiterkam, halten die deutsche Fahne weiter hoch - und die anderen Teams? Zahlten Lehrgeld!

Freiburg, Union Berlin, RB Leipzig und Frankfurt gegen Europa - 0:15. Wobei die Leipziger von ManCity sogar in 90 Minuten mit 0:7 (!) vermöbelt wurden. Wahrlich kein Ruhmesblatt für den einst so erfolgreichen Fußball in Deutschland. Nein, es sind nicht die Schiedsrichter schuld oder etwas anderes - sondern ausschließlich die Bequemlichkeit und Selbstverliebtheit im Verband wie auch in den Klubs sorgen für die Misere.

Der frühere Nationalspieler Matthias Sammer beklagt mangelnde “Athletik, Physis und Siegermentalität” - und das sind tatsächlich nur ein paar Facetten, warum der deutsche Fußball im Abseits steht. Einzig der FC Bayern zeigt, wie es funktionieren kann, wobei der Rekordmeister auch leichtes Spiel innerhalb der Bundesliga hat. Alle sind mit ihrem Status zufrieden: Geld scheffeln und verwalten - so nach dem Münchner Motto: “Des basst scho!”

Es muss endlich ein Umdenken her. Um die 50+1-Regel zu halten, lassen sich die Funktionäre schließlich auch immer wieder etwas Neues einfallen, um im eigenen Saft weiter schmoren zu können. Dadurch werden Feindbilder wie Dietmar Hopp (Hoffenheim), Martin Kind (Hannover), Red Bull (Leipzig), VW (Wolfsburg), Bayer (Leverkusen) - oder ein paar Etagen tiefer der Jordanier Hasan Ismaik (1860) aufgebaut. Eine peinliche Posse ums Kapital, um den eigenen Machterhalt abzusichern. Und die Fans helfen dabei immer wieder - der Doppelpass funktioniert auf dieser Ebene. Urkomisch dazu: Hertha-Präsident Kay Bernstein, einst Ultra-Vorsänger in der Berliner Kurve, hat jetzt mit dem US-Investor 777 Partners einen neuen Geldgeber beim Hauptstadtklub ins Haus geholt. 100 Millionen Euro für 78,8 Prozent. Aber was sagt Bernstein jetzt seinen Wählern aus der Ultra-Ecke? Wir kennen das ja von 1860. Hauptsache im Amt: Was interessiert mich da mein Geschwärz von gestern? Hust. Bei den Löwen wachen aber auch immer mehr Menschen auf, was ihnen erzählt worden ist, und was tatsächlich umgesetzt wird…

Was erstaunlich ist: Würde der DFB ähnlich resolut wie in der 50+1-Frage auch mit dem gravierenden Fanproblem im deutschen Fußball umgehen, würde ein Stadionbesuch wieder familienfreundlicher werden. Doch es beschleicht einen das Gefühl, dass die Zustände in den Arenen toleriert werden. Wenn’s brennt und raucht, gibt’s eine Geldstrafe - na und? Aufgrund der satten Bankkonten der Klubs kann sich das prinzipiell jeder leisten. Doch tut das wirklich weh? Nein! Die Fankrawalle in Neapel mit brennenden Autos, Steinwürfen und bürgerkriegs-ähnlichen Zuständen sollten wirklich den letzten Träumer aufwecken, dass der DFB sich seiner großen Verantwortung endlich stellen muss.

Schaut der Verband bei seinen vielen Problemfeldern weiter konsequent weg, belügt er sich weiterhin selbst.