VON OLIVER GRISS UND IMAGO (FOTO)

Die Bundesliga hat vor einigen Tagen ihren 60. Geburtstag gefeiert - dazu haben wir mit einem ein Interview geführt, der nicht nur am 1. Spieltag auf dem Platz stand, sondern in vielen weiteren Partien für den TSV 1860: Ex-Nationalspieler Fredi Heiß. Das db24-Gespräch mit dem 82-Jährigen:

db24: Herr Heiß, welche Gefühle gehen durch Sie, wenn Sie an die Gründung der Bundesliga am 24. August 1963 denken?

FREDI HEIß: Wir waren alle begeistert, als die Bundesliga gekommen ist. Sportlich gesehen war das ein riesen Aufschwung für den deutschen Fußball. Für uns war das die schönste Zeit in unserem Leben. Wir als Sechzig wussten damals nicht, wo wir stehen. Wir waren damals gespannt, wie das funktionieren wird. Es gab aber nicht nur Sonnenseiten, sondern auch Schattenseiten.

db24: Was meinen Sie?

Es gab damals eine Gehalts-Obergrenze, die alle Spieler einhalten mussten. Das wurde auch schriftlich fixiert. Das waren genau 1200 Mark. Damit konntest du zwar leben, eine Familie ernähren und eine Wohnung mieten. Aber fürs Leben danach zu sorgen, war es weitaus zu wenig. Ich habe viele Schicksale erlebt. Ich kenne viele, die mangels an Berufserfahrung keine richtigen Jobs ausüben konnten. Das ist ja schwierig, wenn du mit 30 oder 33 Jahren einen neuen Job anfangen sollst. Da kriegst du unterschwellig was, was dir persönlich nicht gerecht wird und was finanziell nicht mehr tragbar ist.

db24: Ein Vorwurf?

Ja! Das war einfach nicht durchdacht vom DFB. Vor allem hätte die Anbindung von Firmen und Unternehmen in den Fußball sofort stattfinden müssen. Wir durften ja nicht mal auf den Trikots Werbung tragen. Es war vom DFB nichts mit Weitblick ins Leben gerufen - wir waren damals so etwas wie die Versuchskaninchen. Und deswegen mussten mehr als die Hälfte aller Spieler sehr leiden. Namen will ich keine nennen, aber man weiß ja, für welche Spieler das Leben danach sehr schwer war, aussichtslos. Viele sind danach Sozialfälle geworden.

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db24: Ist das heute besser geregelt?

Ohne, dass ich neidisch bin: Heute verdienen die in der Bundesliga alle ein Schweinegeld und sind dann selbst schuld, wenn sie mit ihrem eigenen Konto nicht selbst haushalten können. Wenn du heute ein paar Jahre Bundesliga spielst, kannst du dir was aufbauen - das war damals nicht möglich. Heute kümmern sich die Vereine auch darum, dass ihre Spieler zumindest eine Berufsausbildung haben. Ich finde es nicht richtig, dass es Leute gibt, die aufgrund ihres Egos hunderte Millionen Euro in den Markt werfen, um Spieler zu bezahlen. Das ist die Ungleichheit im Fußball. Das gefällt mir nicht, richtig ist es aber, dass die Fußballer mehr verdienen sollen.

db24: Schauen Sie heute noch regelmässig Bundesliga?

Jetzt muss ich ehrlich sagen: Ich schaue mir gern noch die Spitzenmannschaften in der Bundesliga an, wo du Fußball siehst, an den ich mich aus meiner Zeit auch noch erinnern kann. Das macht mir Spaß. Wenn’s aber um Durchschnittsfußball geht, dann ziehe ich die Englische Premier League vor. Aber das ist auch schon wieder Ungleichheit: Britische Klubs kassieren durch die TV-Ausschüttung wesentlich mehr Geld als die Bundesliga-Vereine. Da kommt unsere Liga gar nicht mit. Der Blick insgesamt auf den Fußball gefällt mir aber nicht mehr so: Es wird zuviel taktiert, manchmal hat der Torwart mehr Ballkontakte als mancher Abwehrspieler. Das ist eine Fehlentwicklung. Wir haben früher mit fünf Stürmern gespielt - das war attraktiver. Zumindest aus meiner Sicht.

db24: Der deutsche Fußball steckt in seiner schwersten Krise seit Jahrzehnten…

Das ist jetzt kein reines deutsches Problem: Heutzutage verdient jeder Nationalspieler sehr viel Geld, darunter leidet unsere Nationalmannschaft. Die Stars von heute müssen sich ja gar nicht mehr richtig anstrengen. Früher musstest du über eine lange Zeit herausragend sein, um für die Nationalmannschaft berufen zu werden. Heute ist das anders. Früher war es eine Ehre, für Deutschland zu spielen, um deinen Marktwert zu steigern. Heute reicht ein gewiefter Spielerberater (lacht). Die Krönung des Fußballs ist nicht mehr die Nationalmannschaft. Der Fredi Bobic hat vor kurzem einen richtigen Satz gesagt: “Die Bundesliga ist die Ausbildungsliga für die Premier League.” Und trotzdem: Ich behaupte, der FC Bayern ist von keiner Nationalmannschaft der Welt zu schlagen.

db24: 60 Jahre Bundesliga - wer waren die besten Spieler aus Ihrer Sicht, die man sehen durfte?

Gleich von Anfang an haben schon ein paar gefehlt, weil Franz Beckenbauer, Gerd Müller und Sepp Maier erst zwei Jahre später mit dem FC Bayern aufgestiegen sind. Sie sind nicht wegzudenken. Aber wenn Sie mich so fragen: Günther Netzer, Uwe Seeler oder Wolfgang Overath.

db24: Würden Sie auch ehemalige Löwen-Spieler für die Top30-Wertung nominieren?

Auf jeden Fall! Da dürfte ein Radi niemals fehlen, wenn ich mir die letzten 60 Jahre anschaue. Er war ein Ausnahmetorwart. Nicht, weil er so viele unhaltbare Bälle entschärft hat, sondern wie er die Mannschaft mit seinem besonderen Auge dirigiert hat, mit welcher Ruhe er im Tor stand. Er war ein echter Rückhalt. Auch Rudi Brunnenmeier oder Peter Grosser waren einzigartig. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Radi, Brunnenmeier und auch Grosser in der heutigen Bundesliga absolute Top-Stars wären.

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db24: Wirklich? Immer wieder heißt es, die Bundesliga sei heute viel schneller und athletischer…

Aus der Sicht schon, ja. Wenn sie heute müde sind, dann werden sie ausgewechselt und können nachlegen. Das war bei uns anders: Wir hatten ja nur 15 Spieler inklusive Torwart - und man durfte nicht auswechseln. Wenn man einen Schnupfen hatte, dann haben wir trotzdem gespielt. Das ist heute anders, jeder Bundesligakader ist mit 30 Spielern oder mehr aufgeblasen. Das ist schon ein Riesen-Unterschied. Wir hätten uns das gar nicht leisten können. 1860 hatte sich ja aus eigener Kraft nicht mal 15 Spieler leisten können. Das war ja damals schon so - heute können sie es gefühlt immer noch nicht. 1860 war eigentlich zu jeder Zeit in Geldnöten.

db24: Inzwischen spielt 1860 drittklassig: Wird man den Verein nochmal in der Bundesliga erleben?

Das ist eine schwere Frage - dazu reicht die Zeit nicht aus, um ins Detail zu gehen. Vielleicht kann ich es in einer Kurzzusammenfassung sagen: 1860 ist kein reiner Fußballverein, wo sich alles um die Mannschaft dreht und der Fußball im Mittelpunkt steht. Es stehen viele Dinge im Vordergrund. Es gab in den letzten Jahrzehnten viele Präsidiumsmitglieder, denen der Sport fremd ist und keine Fußballtaktik hatten. Was sie aber immer konnten, war die Funktionärstaktik - und die braucht im Grunde keiner…

db24: Mit Horst Heldt wollte Präsident Robert Reisinger ein Zeichen setzen…

Der Name Heldt hätte uns mit Sicherheit gut getan. Ich hoffe nur, dass bei der Auswahl für einen Sportdirektor die richtigen Entscheidungen getroffen werden. Und zwar auch folgerichtig und nicht einfach Stückwerk. Falsch wäre: Einfach einen suchen und dann zu glauben: Ja, das wird scho! Wenn einer kommt, dann braucht’s dafür ein großangelegtes Konzept des Klubs - und das sehe ich nicht. Bei so einer wichtigen Entscheidung sollten alle im Verein involviert sein. Das darf nicht in einem Ego-Trip enden…