VON OLIVER GRISS

Diese Situation war symptomatisch für den 1860-Gruselauftritt in Pipinsried mit dem letzlich verdienten Aus im Toto-Pokal-Viertelfinale: Marlon Frey kann seinen flinken Gegenspieler im Mittelfeld nicht fair bremsen, sondern muss ihn mit zwei Händen zu Boden reißen, um einen Konter zu unterbinden - dafür kassiert der Neuzugang aus Duisburg früh Gelb. Es war nicht die einzige Situation, die die Defizite der Löwen an diesem Samstagnachmittag deutlich aufzeigten, wenn der Kopf nicht konzentriert zu Werke geht. Oder anders gesagt: Mehr Arroganz kann man nicht an den Tag legen. Arbeitsmoral funktioniert bei 1860 normalerweise anders. Kämpfen statt flanieren ist an der Grünwalder Straße 114 angesagt. Es darf auch keine Selbstverständlichkeit mehr sein, bei 1860 einen Vertrag unterschreiben zu dürfen.

Trotz allem Frust-Abbau sollte für Maurizio Jacobacci das Ausscheiden für seine Arbeit jetzt auch eine heilende Kraft haben: Er hat nämlich einmal mehr gesehen, auf wen er sich verlassen kann - und auf wen eben nicht. Und, dass er vor allem ganz wenig Mentalitätsmonster in seinen eigenen Reihen hat, die unersetzbar sind: Kapitän Jesper Verlaat war nur als Zuschauer nach Pipinsried gereist - und Fabian Greilinger kam zu spät rein, um dem Spiel noch eine andere Richtung zu geben. Ergo: Jacobacci darf nur noch nach Leistung aufstellen - und nicht, was derjenige vielleicht früher mal geleistet hat. Fußball ist Tagesgeschäft, in dem einzig und allein das Leistungsprinzip zählen sollte.

Prinzipiell muss man aber sagen, dass ambitionierte Fußball-Profis gegen Fünftliga-Amateure aufgrund ihres vorhandenen Talents und der körperlichen Konstitution immer einen deutlichen Vorteil haben sollten - und genau deswegen hat Jacobacci den Spielern das Vertrauen geschenkt, die hinten dran stehen. Von seiner Seite war das zunächst nicht überheblich. Wenn man dem Trainer etwas vorwerfen will, dann das, dass er in der Halbzeit eigentlich fünfmal hätte wechseln müssen, um die Blamage abzuwenden. Er hat’s nicht getan - das war naiv. Aber: Die Pipinsried-Elf hat Jacobaccis Vertrauen gnadenlos missbraucht - angesichts des schwelenden Machtkampfs an der Grünwalder Straße 114 sind solche Auftritte absolut kontraproduktiv.

Kurz zur sportlichen Einordnung: Eine gute U19-NLZ-Bundesliga-Mannschaft würde bei fünf Duellen gegen eine Herren-Mannschaft aus der Bayernliga mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit viermal gewinnen. Dass Pipinsried keine Übermannschaft ist, zeigte vor kurzem der TSV Landsberg. Zuletzt hatte der Bayernliga-Tabellenführer den 1860-Bezwinger mit 5:1 überfahren - Ex-Löwe Nico Karger erzielte dabei übrigens drei Tore. Kein Wunder, dass der Stürmer auf dem Insta-Kanal der Löwen fast spöttisch schrieb und dazu Sascha Mölders markierte: “Haben wir da nicht 5:1 gewonnen, Trainer?” Und was machen die Löwen? Sie können selbst eine 30-minütige Überzahl gegen diesen Gegner nicht für sich nutzen, ebenso einen Elfmeter in der Schlußphase nicht.

Mit diesem Toto-Pokal-Auftritt im Dachauer Hinterland haben sich die Löwen jedenfalls wieder viel kaputt gemacht, was sie sich zuletzt mühsam aufgebaut hatten, u.a. mit dem 3:2 in Saarbrücken. Ohne Not setzt sich der TSV 1860 damit schon wieder selbst unter Druck: Nur ein Derby-Sieg über Haching am kommenden Samstag kann das nervöse 1860-Umfeld wieder beruhigen.