VON OLIVER GRISS

Stellen Sie sich vor: In sechs Tagen ist Trainingsauftakt an der Grünwalder Straße 114 - und die Stellen für den Sportchef und Trainer sind weiterhin unbesetzt. Verstärkungen für die abstiegsbedrohte Drittliga-Mannschaft sind zudem auch nicht in Sicht. Nein, das ist kein Scherz, sondern am 27. Dezember 2023 bittere Realität. Es zeigt ganz deutlich, wie unverantwortlich mit dem Profifußball des TSV 1860 umgegangen wird.

Warum ist die Situation so verfahren? Die virtuelle Beiratssitzung, die am vergangenen Freitag Dr. Christian Werner auf den Geschäftsführer-Posten heben hätte sollen, ist kurzfristig ausgefallen. Einer der beiden Räte der HAM-Seite soll gesundheitlich angeschlagen gewesen sein und abgesagt haben. Wann das Treffen nun stattfindet, ist noch offen: Es gibt laut Satzung eine mehrtägige Ladungsfrist, die im Paragrafen-Dschungel der Löwen eingehalten werden muss. Würde man aber respektvoll miteinander umgehen und ohne Anwälte auskommen, könnte man dies auch auf dem kurzen Dienstweg regeln. Aber die Stimmung ist vergiftet, auch weil sich die HAM-Seite angesichts der Giesinger Spielchen ziemlich verarscht vorkommen soll.

Aber jetzt der Reihe nach: Geschäftsführer Marc Pfeifer hatte im Spätsommer als Sportchef-Kandidaten auch Dr. Christian Werner thematisiert und ihn nach zahlreichen Absagen (u.a. Christoph Janker, Benny Lauth) dem Präsidium vorgeschlagen, nachdem Horst Heldt und Thomas Hitzlsperger zuvor nach diversen Gesprächen von einem Einstieg bei 1860 München abgerückt sind.

Die HAM-Seite soll der Werner-Idee von Anfang an offen gegenüber gestanden haben. Aufsichtsratsboss Saki Stimoniaris soll zusammen mit den beiden Vize-Präsidenten Heinz Schmidt und Hans Sitzberger Werner getroffen haben - die Daumen sollen von allen drei Funktionären nach oben gegangen sein. Man sah sich nach einem Casting-Marathon auf der Zielgeraden.

Aber dann kam es zu einer Kursänderung: Der e.V. hat daraufhin DREIMAL den Pfeifer-Vorschlag Werner abgelehnt. Nein, das ist kein Witz! Dem “Kicker” liegt die Mail vom 26. September von Robert Reisinger vor. Darin schrieb der Ober-Löwe: “Bei Betrachtung der derzeitigen Situation und Analyse der Transferperiode 23/24 ist das Präsidium der Meinung, dass es viel mehr braucht als das von Hr. Dr. Werner vorgelegte Konzept…Hr. Dr. Werner erfüllt in unseren Augen nicht dem Anforderungsprofil und Kriterien, die wir von einem Geschäftsführer erwarten und deshalb nicht in die engere Auswahl aufnehmen können.” Liest sich zumindest so, als ob sich das Präsidium ausführlich mit Werner beschäftigt hat.

Was ist dann passiert, dass Werner plötzlich vom dreimal abgelehnten Sportdirektor-Kandidaten zum heißen Sport-Geschäftsführer-Favoriten beim TSV 1860 aufsteigt? Wir erlauben uns einen Vergleich: Die Moni bewirbt sich um eine Stelle als Assistenzärztin im Klinikum Rechts der Isar, wird dreimal abgelehnt - und wird Wochen später Chefärztin.

Was man weiß: Werner soll sich dem Verwaltungsrat um den Vorsitzenden Sascha Königsberg vorgestellt haben - danach war der Weg frei. Jetzt muss man wissen, dass in diesem Gremium kein einziger Rat Profifußball-Kompetenz vorweisen kann. Umso erstaunlicher ist, dass danach der Weg für Werner als Geschäftsführer frei war. Mehrheitsgesellschafter Hasan Ismaik hatte gegenüber der “Sport-Bild” bereits gesagt, dass er sich Werner vorerst nur als Sportdirektor vorstellen könne und er sich auf dieser Position für höhere Aufgaben empfehlen könne. Eine durchaus vernünftige Darstellung. Wer hat Dr. Werner also zunächst verhindert?

Wie erklärt Reisinger seinen plötzlichen Sinneswandel bei Dr. Werner? Gegenüber dem e.V.-nahen Fanportal “sechzger.de” sagte er: “Die Ansicht im Präsidium über die fachliche Eignung von Dr. Christian Werner als neuer Geschäftsführer Sport hat sich verändert. Nach persönlichen Gesprächen und einer beeindruckend intensiven und detaillierten Analyse der sportlichen Situation durch den Kandidaten sind wir zur Auffassung gelangt, dass die Qualifikation gegeben ist. Eine einmal getroffene Annahme zu revidieren, weil neue Erkenntnisse zur Beurteilung herangezogen wurden, ist kein Zeichen von Schwäche.” Und trotzdem: Dr. Werner ist jetzt schon beschädigt, bevor er seinen ersten offiziellen Arbeitstag in Giesing hat.

Weil der e.V. weisungsbefugt ist und auch bereits im Sommer Horst Heldt durchsetzen hätte können, könnte Dr. Werner sofort als Sportchef anfangen, um dann kurze Zeit später auf Geschäftsführer-Ebene gehoben zu werden. Warum der e.V. von diesem Lösungsweg Abstand nimmt, ist nicht zu erklären. Steckt vielleicht politisches Kalkül dahinter? Denn im Grunde geht es nur um den Titel, nicht aber um die so dringend benötigte Arbeit eines Sportlichen Leiters.