VON OLIVER GRISS UND IMAGO (FOTO)

Manni Schwabl (58) ist ein Gesprächspartner wie man ihn sich als Journalist wünscht. Nicht einfältig und langweilig wie es heute im Profifußball gang und gäbe ist, sondern stets informativ und spannend. Der ehemalige Bundesliga-Kapitän der Löwen stand db24 vor dem Drittliga-Derby zwischen Haching und Sechzig (heute, 19.30 Uhr, db24-Ticker) Rede und Antwort. Und Schwabl, inzwischen Baumeister der Spielvereinigung, gibt tiefe Einblicke, die viele Fans möglicherweise gar nicht kennen. Der zweite Teil des großartigen Schwabl-Interviews:

db24: Das S-Bahn-Derby gegen 1860 ist auch deshalb hochbrisant, weil sich im Sommer die Löwen mit Rene Vollath, Raphael Schifferl und Patrick Hobsch drei Hachinger Stammkräfte schnappten. Hat Sie das verletzt?

MANNI SCHWABL: Grundsätzlich ist es so, dass Transfers Teil des Geschäfts sind. Und jetzt muss ich etwas weiter ausholen: Wir waren auf dem Weg nach Halle: Eigentlich hätten Konstantin Heide und Boipelo Mashigo anstelle von Rene Vollath und Patrick Hobsch gespielt. Aber nicht, weil wir mit Fleiß verlieren, sondern weil wir unsere Eigengewächse fördern wollten. Es war klar, dass in der neuen Saison Heide unsere neue Nummer 1 wird. Das hatte ich schon im Winter gesagt. Dann gebe ich dem jede Minute, um sich vorzubereiten. Nach dem Derby, das wir 2:0 gegen 1860 gewonnen hatten, sagten Robert Reisinger und Christian Werner unisono zu mir: “Bitte schlagt Halle!” Ich antwortete: “Leute, das ist nett, aber darf ich mich ganz kurz über unseren Derby-Sieg freuen!” Und dann hat Sechzig gegen Dortmund verloren, die Lage spitzte sich immer mehr zu. Wir waren auf dem Weg nach Halle. Abends an der Bar ist dann die Entscheidung gefallen, dass Vollath und Hobsch doch spielen - obwohl wir die ganze Woche über anders trainiert hatten. Ich hatte es dann so begründet: Ich lasse mir als Ex-Kapitän von 1860 nicht nachsagen, dass ich schuld sei, wenn die Löwen absteigen. Es gab ja auch eine Vorgeschichte, vor meiner Zeit in Haching: Als Cottbus in der Bundesliga gegen 1860 gewonnen hat und Haching dadurch abgestiegen ist. Vor dem Spiel in Halle hatte ich meinen Blutdruck gemessen - ich war so aufgeregt. Und dann kam’s zum Showdown. Halle legte los wie die Feuerwehr…

db24: Und dann hielt hinten Torwart Rene Vollath die Null - und vorne traf Torjäger Patrick Hobsch zum entscheidenden 1:0: Die Löwen waren gerettet…

Ich hatte nach dem Abpfiff noch nie so viele Whatsapp-Nachrichten von Löwen-Fans bekommen wie an diesem Sonntagnachmittag - immer mit der Endziffer 1860. Ich habe mir gesagt: “Alles in Ordnung, alles gut! Wir waren raus aus der Nummer!” Und dann kamen die Transfers wenige Wochen später. Für Hobschi muss ich eine Lanze brechen, er hat immer mit offenen Karten gespielt - und dass es am Ende Sechzig wurde, hatte auch mit der Historie von Bernd Hobsch zu tun. Deswegen wollte er unbedingt dort hin. Bei Raphael Schifferl hatten wir keine Handhabe - und deswegen kann ich es ihm nicht verdenken, dass er zu einem anderen Verein geht. Bis zuletzt wollte er in die Zweite Liga, Sechzig ist es dann geworden. Und was ich von Christian Werner nach der Geschichte mit Halle überhaupt nicht verstanden hatte, waren die Gespräche mit Rene Vollath, ohne dass uns jemand zuvor informiert hat. Das geht einfach gar nicht! Aber wir haben uns inzwischen ausgesprochen - und alle können sich wieder in die Augen schauen. Werner hat ein Getränk ausgegeben und sich entschuldigt. Wir haben es auch 0,0 Prozent bereut, dass wir bei Heide zu unserem Wort stehen.

db24: Wie groß ist Ihre Verbindung noch zu 1860?

Ich habe bei den Löwen eine tolle Zeit gehabt und immer noch Kontakte zu ehemaligen Spielern, allen voran Thomas Miller. Gut, dass ich es sage: Den muss ich auch noch einladen. Aber der Thomas wird wieder keine Zeit haben: Der geht lieber zum Wirt (lacht). Das hat er schon mal so gemacht. Mein Wunsch für’s Derby ist, dass es friedlich bleibt. Die beiden Trainer sollen ihre Mannschaften taktisch gut einstellen - und ich muss schauen, dass der Rest passt. Aber davon gehe ich aus.

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db24: Sie haben bei Bayern, 1860 und Nürnberg gespielt - und sind jetzt bei Haching Präsident. Vier bayerische Profi-Vereine in einer Karriere, das ist wohl einzigartig. Wie wichtig ist Ihnen Vereinstreue?

Bei mir ist es so: Ich bin sehr heimatverbunden - und einen Baum kannst du in der letzten Konsequenz eigentlich nicht verpflanzen. Er wird wahrscheinlich auch woanders blühen, aber nicht so kraftvoll wie am Ursprungsort. Und ich fühle mich in Bayern halt am wohlsten. Es kommt nicht von ungefähr, dass ich mein Italien-Abenteuer nach wenigen Wochen abgebrochen und dann meine Karriere beendet habe. Zu Bayern bin ich mit elf Jahren als Schüler, dann bin ich irgendwann als junger Spieler mit Rückkaufsrecht nach Nürnberg abgegeben worden - und Sechzig war zum Schluss meiner Karriere ein Glücksfall. Die Löwen waren 1994 in die Bundesliga aufgestiegen - und das war einfach ideal mit meiner Art: Ich war sehr volksnah, das hat gepasst wie die Faust aufs Auge. Ich bin ja nach drei Monaten gleich Kapitän geworden, weil Werner Lorant nach unzähligen Platzverweisen zu Bernhard Trares gesagt hat: “Trares, ich kann dich nicht mehr sehen!” Ich habe Bernhard gefragt, ob das für ihn in Ordnung sei. Mir war das auch unangenehm, weil ich ja ein Roter und erst so kurz da war. Ich habe ihn dann immer mit einbezogen. Das war eine interessante Konstellation.

db24: Juckt es Sie nicht, irgendwann zu 1860 zurückzukehren?

Ich werde oft gefragt: “Manni, warum machst du nichts bei Sechzig?” Immer wieder! Ich sage ganz klar: Ich habe hier - mit allen Problemen, die wir haben - das Paradies auf Erden. Doch ich sage auch: Wenn damals der Abschied als Kapitän anders gelaufen wäre und dann die Geschichte mit dem Stadion, ich wüsste nicht, wo ich heute wäre…(nachdenklich). Der liebe Gott hat mir noch keinen Hinweis gegeben. Es war mit den Wildmosers besprochen, dass ich eine Funktion bei 1860 übernehmen sollte.

db24: Jetzt wird’s richtig interessant. Klären Sie mal die jüngeren Löwen-Fans auf, was damals gelaufen ist und warum es dann zum Bruch mit dem alten Wildmoser kam?

Ich hatte 1997 nochmal einen Zwei-Jahres-Vertrag unterschrieben - und der Plan war: Solange zu spielen, wie es es geht und dann schauen wir weiter. Wir hatten das immer wieder diskutiert, was ich nach der Karriere bei Sechzig mache. Das ist ja auch nachvollziehbar. Meine Ansprechpartner waren die Wildmosers und der damalige Geschäftsführer Sven Jäger. Das war immer Thema. Und mich hatte nur das Management interessiert, Trainer wollte ich nie werden. Ja, und dann kam die Saison-Abschlussfeier und es zum Bruch…

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db24: Erzählen Sie mal!

Der Verein hatte drei Tage vor dem letzten Spiel immer noch keine Abschlussfeier geplant - und weil klar war, dass Thomas Miller, Rainer Berg und Bernhard Trares den Verein verlassen, habe ich als Kapitän schon lange vorher eine Abschiedsfeier organisiert. Das war ja legitim. Das macht man ja bei kleinen Vereinen auch nicht anders. Wir hatten als Mannschaft schon alles organisiert und bezahlt. Und Sven Jäger war immer auf der Höhe. Warum sollten wir denn eine eigene Feier organisieren, wenn der Klub schon eine Abschlussfeier geplant hat? Als dann Borussia Dortmund vor dem letzten Spieltag die Champions League 1997 gewonnen hat und dann war klar, dass wir in den Uefa-Cup kommen, kam am selben Abend noch Sven Jäger zu mir und sagte: Wir haben jetzt doch eine offizielle Vereinsfeier. Dann habe ich am Donnerstag die Mannschaft gefragt: “Was machen wir jetzt?” Alle hatten einstimmig gesagt: Wir machen natürlich unsere eigene, wir lassen uns doch nicht verarschen! Und genau das habe ich dann anschließend Herrn Wildmoser telefonisch mitgeteilt. Ich habe als Kapitän gehandelt, klar war es aber auch meine Meinung.

*db24: Wer den verstorbenen Präsident Karl-Heinz Wildmoser kannte, weiß: Das war für ihn eine Majestätsbeleidigung…

Ja, und dann war Herr Schwabl halt das Bauernopfer (lacht). Dann hieß es plötzlich, ich sei sportlich nicht mehr tragbar. Dabei hatte ich sechs Wochen zuvor noch einen neuen Zwei-Jahres-Vertrag unterschrieben. Aber für mich gibt es definitiv kein Nachkarten. Ich hatte eine Super-Zeit bei 1860. Und weil wir vorhin darüber gesprochen hatten: Eventuell hätte es mich nirgendwo anders hin verschlagen, wäre diese Abschlussfeier nicht gewesen. Man weiß es nicht…

db24: Das Schicksal spielt nicht gut für 1860. Auch der frühere Meister-Kapitän Peter Grosser wollte immer zurück zu den Löwen und landete dann irgendwann in Haching. Das gibt’s schon irgendwie Parallelen…

Man kann nicht jede Personalie vergleichen, ich kann nur meine Geschichte erzählen. Das sage ich ohne jeglichen Vorwurf an irgendwen. Was mich dann geärgert beziehungsweise stark verwundert hat, war das Stadionthema.

db24: Jetzt wird’s spannend: Es ist das Thema, das 1860 seit gefühlt 30 Jahren hemmt…

Es war zum Jahrtausendwechsel. Mich hatten ein paar Löwen-Fans angesprochen. In der Zeit hatte ich für eine Firma gearbeitet, in der ich St. Pauli Stadionsitze vermittelt hatte. Dadurch hatte ich Kontakt zu Heinz Weisener, Architekt und Vorstand des FC St. Pauli. In Hamburg war die selbe Konstellation wie in München: St. Pauli und HSV - und bei uns 1860 und Bayern. Auch bei denen ging es um die Stadion-Frage: Geht St. Pauli ins Volksparkstadion oder versucht man es am eigenen Standort, das Ding auszubauen? Und dann wurde ich gefragt, ob ich eine Machbarkeitsstudie für das Grünwalder Stadion in Auftrag geben könnte, ob an diesem Standort ein Stadion mit circa 30.000 Fans umsetzbar wäre. Ich habe mir gesagt: “Das reizt mich! Da beiß’ ich mich jetzt mal rein!”

db24: Was ist dann passiert?

Wir hatten alles bis zur Bau-Voranfrage bei der Lokalbaukommission München fertig gemacht. Ich sage heute noch: Der Umbau des Grünwalder Stadions wäre zum damaligen Zeitpunkt definitiv genehmigungsfähig gewesen. Wir hatten alle Untersuchungen wie Grundwasser-Thematik, Lärmschutz-Gutachten und so weiter abgeschlossen. Die Vorgabe der Stadt war einzig und allein: Sechzig muss sich langfristig bekennen zu diesem Standort. Das war damals die einzige Bedingung der Stadt. Und Wildmoser sagte zu mir: “Wenn du das durchbringst, spielen wir drin! Dann gehen wir von Hinterbrühl aus mit der Blasmusik zur Lokalbaukommission.” Das hatte ich mir bildlich immer vorgestellt. Das ist zwar ein weiter Weg, aber es wäre für eine gute Sache gewesen (lacht). Ich hatte auch schon Investoren gefunden. Wildmoser und der damalige Geschäftsführer Detlef Romeiko waren in jeden Schritt involviert. Es war alles auf den Weg gebracht. Ja, und dann kam Mitte 2000 die WM-Entscheidung pro Deutschland…

db24: …und Wildmoser änderte um 180 Grad seine Meinung zum geplanten Stadion-Projekt in Obergiesing.

Das haben Sie jetzt gesagt! Aber zurück zur WM-Entscheidung: Eigentlich war klar, dass Südafrika die WM bekommt. Es ging um eine Stimme. Und ich weiß es, als wäre es gestern gewesen, als Sepp Blatter sagte: “And the winner is…Deutschland!” Dann habe ich zu meiner Frau gesagt: “Du wirst sehen, ich spüre es: Das Stadion-Projekt in Giesing ist gestorben!” Es war auch nicht mein Stadion-Projekt! Ich habe nur gesagt, ich mache die Stadionplanung auf eigene Kosten. Das hatte mich 300.000 bis 400.000 Mark gekostet - ich habe das aus eigener Tasche bezahlt.

db24: Ehrlich?

Ja! Ich konnte als ehemaliger Spieler ja nicht auch noch Geld verdienen in so einer Sache. Ich habe nur gesagt: Wenn das durchgeht, will ich die investierte Summe zurück. Ab dem Tag habe ich in der Öffentlichkeit gelesen: “Schwabls Pläne machen keinen Sinn!” Und dann ist die Allianz Arena geboren worden. Ich sage nach wie vor: St. Pauli hat den Standort durchgebracht - und wenn ein bodenständiger Verein wie 1860 in der Stadt München keinen Stadion-Umbau hinbekommt, dann lach ich mich krumm und dämlich. Ich rede von der damaligen Zeit - und nicht von jetzt!

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db24: Die Stadion-Frage beschäftigt 1860 bis zum heutigen Tag…

Jetzt geht diese Größenordnung eines Stadion-Umbaus anscheinend nicht mehr, weil es inzwischen ganz andere baurechtliche Vorgaben gibt. Damals wäre es gegangen. Man kann es jetzt 100mal diskutieren: Die Stadion-Frage ist bei allen Vereinen einschneidend in der Klubhistorie. St. Pauli hat das hingekriegt und ein Schmuckkästchen in der Stadt, Sechzig leider nicht! Ich sage weiterhin: Das Grünwalder Stadion ist an einem der geilsten Standorte, aber das Stadion ist halt in die Jahre gekommen.

db24: Im größten Löwen-Spiel der letzten 50 Jahre gegen Leeds United, als es um die Champions League ging, sangen rund 1.000 Fans “Grünwalder Stadion”. Das zeigt die Problematik auf.

An dem Tag, als Sechzig im Olympiastadion gegen Leeds spielte, hatte ich mit Wildmoser einen Termin in der Ismaninger Straße bezüglich eines Investors. Das muss man sich heute mal vorstellen, wie sich die Dinge damals abgespielt haben.

db24: Zurück zur Vereinstreue: Zu welchem Klub fühlen Sie sich am meisten hingezogen?

Mir wird immer wieder die Frage gestellt, wo war’s am schönsten? Ich hatte bei jedem Verein eine geile Zeit. Ich will mich da gar nicht festlegen. Zu mir sagen sie immer: “Du bist ein bayerisches Urgestein!” Lassen wir es so stehen. Und jetzt bin ich in Haching - und da decke ich mit Rot und Blau beide Farben ab und werde somit allen gerecht (lacht).

db24: Von Sechzig haben Sie die Rezeptur des Löwenstüberls für die Schinkennudeln für die Hachinger Sportgaststätte “geklaut”…

Oh, die Lizenzgebühr muss ich ans Löwenstüberl noch bezahlen. Aber was mir grad einfällt: Dann sind wir jetzt quitt mit meinen 300.000 bis 400.000 Mark für die Stadionplanung. Das sind teure Schinkennudeln, oder? Können wir das bitte so festhalten (lacht)?