VON OLIVER GRISS

Ja, ich gebe es zu: Ich gehöre nicht zu den Menschen, die die Säbener Straße meiden, um zur Grünwalder Straße 114 zu gelangen. Ja, es gibt tatsächlich die Fans, die noch nie in dieser Münchner Straße waren. Und, ja: Ich hatte auch schon regen Kontakt zum FC Bayern, berufsbedingt (Asche über mein Haupt). Ich war mit dem Rekordmeister 2006 beispielsweise in Barcelona oder Tokio und durfte unzählige Champions League-Spiele im Olympiastadion oder der Allianz Arena im Reporter-Team der Abendzeitung mitmachen. Dadurch konnte ich Fußballer wie David Beckham, Zinedine Zidane, Ronaldo, Roberto Carlos, Bastian Schweinsteiger oder Lothar Matthäus aus nächster Nähe erleben. Eine tolle Lebenserfahrung - aber zurück zu den Bayern: Sie sind einer der erfolgreichsten Vereine der Welt. Dies gilt es zu respektieren. Mein früherer Chef meinte immer: "Wenn du die Bayern machst, hast du es geschafft." Nein, für mich galt dieser Spruch nicht: Ich habe mich bei Bayern nie besonders wohl gefühlt, obwohl die handelnden Menschen dort super-professionell, freundlich und erfolgreich waren. Die Farbe Rot meide ich trotzdem. Ich wollte die Blauen, die den Hang zum Chaos haben, nicht loslassen. Das ist vielleicht auch mein persönliches Laster.

Bayern ist eine andere Welt, Sechzig dagegen der Verein aus der Mitte des Lebens: Mal oben, mal unten. Das passt besser zu mir, auch wenn der Zerfall der Löwen in den letzten Jahren besorgnis- und mitleidenserregend ist. Wer Sechzig aus einer anderen Zeit kennt, weiß, wovon ich schreibe: Die Löwen von heute haben nichts mehr mit dem einstigen Klub zu tun, den wir alle lieben gelernt haben. Jeder, der dazu beigetragen hat, sollte sich hinterfragen. Die frühere Rivalität gibt es nicht mehr. Das letzte Bundesliga-Derby liegt mehr als 20 Jahre zurück.

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Warum ich die Bayern in einem Löwen-Portal thematisiere? Im Zuge der Geschäftsführer-Suche wurde geleakt, dass der Baldhamer Toni Hiltmair eine Bayern-Vergangenheit hat, wohlgemerkt als Fan. Sogleich wurde die aktive Fanszene ultra-nervös und pinselte beim 3:0-Sieg in Sandhausen auf einen Banner: “Toni Hiltmair, verpiss dich, du Bayern-Sau.” Obendrein wurde Hiltmair von Fan-Portalen auch noch angedichtet, dass er der Kandidat von Mehrheitsgesellschafter Hasan Ismaik sei. Richtig ist aber, dass der umtriebige Hiltmair (er wollte vor einem Jahr Präsident werden) nicht von HAM vorgeschlagen wurde, sondern sich der Immobilienmann selbst bei beiden Gesellschaftern vorgestellt hat. Aber das passt natürlich nicht, um die Leserschaft zu bedienen.

Viel wichtiger als der Stallgeruch-Test ist: Hat Hiltmair Sechzig überhaupt im Kreuz? Er hat noch nie im Fußball gearbeitet - und dazu zählen wir nicht seinen ehrenamtlichen Job als ehemaliger Abteilungsleiter des TSV Grasbrunn.

Sechzig ist eine riesengroße Herausforderung, die einem alles abverlangt und vor allem viele Dinge braucht: Kraft, Zeit, Ausdauer, Expertise, Fingerspitzengefühl, stabiles Auftreten und den richtigen Weitblick. Das sollte den Entscheidern im Verwaltungsrat bewusst sein nach den unzähligen Personal-Flops bei 1860 München in den letzten Jahren. Oliver Mueller verließ nach nur 215 (!) Tagen die Geschäftsstelle. Leider sind die Gründe bis heute nicht bekannt - und warum Marc Pfeifer gehen musste, ist nach den Erfahrungen der letzten Monate bis heute eine absolute Farce.

Es reicht nicht aus, zu sagen, dass es ein tolles Gefühl sei, mit der Trambahn zum Grünwalder Stadion zu fahren oder Ex-Löwen zurückholen zu wollen, sondern die entscheidenden Themen müssen ins Visier genommen ewrden: Die quälende Stadion-Frage mit der Perspektivlosigkeit im Grünwalder, die schwindenden Sponsoren-Erlöse, die Wettbewerbsfähigkeit der Mannschaft, die schlechte Außendarstellung, die Infrastruktur generell - und die langfristige Finanzierung des Spielbetriebs.

Das sind die Bereiche, die sofort angepackt werden müssen. Wenn Hiltmair überzeugt ist, all diese Punkte meistern zu können, dann soll er seine Chance vom Verwaltungsrat bekommen. Vielleicht ist Hiltmair, der durchaus erfolgreich im Immobiliensektor arbeitet, ein bislang unentdecktes Genie im Profußball und bringt 1860 zum Träumen.

Klar ist aber auch: Ich bin prinzipiell kein Fan von Experimenten, erst recht nicht bei den Löwen. Dazu ist dieser Verein viel zu wertvoll. Qualität kostet eben Geld. Es gibt ein gutes Sprichwort: “Wer billig kauft, kauft teuer.” Allein die letzten 7,5 Jahre haben trotz der Aktivierung der “schwäbischen Hausfrau” sehr viel Geld gekostet - ohne auch nur einen Schritt weiter zu kommen. Man spricht von rund 30 Millionen Euro allein für die Profiabteilung.

Der in München aufgewachsene Oliver Griss (53) schreibt seit 1989 über die Löwen, u.a. davon 12 Jahre für die Abendzeitung zu Bundesliga-Zeiten. Seit 2011 betreibt er das Löwen-Portal dieblaue24.