VON OLIVER GRISS UND IMAGO (FOTO)

Maurizio Jacobacci (61) war knapp zehn Monate Löwen-Trainer - bis zum 5. Dezember 2023. Heute vor einem Jahr wurde er nach einer ausgesprochen kräfteraubenden Zeit beurlaubt. Letzter Auslöser war die 0:3-Auswärtspleite in Dortmund. Die Löwen drehen sich aber auch ohne Jacobacci im Kreis. Sein Nachfolger Agis Giannikis kommt auf dieselbe Quote wie der Italo-Schweizer - 1,35 Punkte pro Spiel. Anders als Jacobacci kann Giannikis jedoch in Ruhe an der Grünwalder Straße 114 arbeiten. Das db24-Interview mit dem früheren Profi:

db24: Grüezi in die Schweiz: Herr Jacobacci, wie die Zeit vergeht: Heute vor einem Jahr wurden sie beurlaubt bei den Löwen. Wie sehen Sie den Klub heute?

MAURIZIO JACOBACCI: Ich finde den aktuellen Kader richtig gut zusammengestellt - ich glaube aber nicht, dass er recht viel günstiger als der zu meiner Zeit ist. Das ist jetzt ein ganz anderes Niveau, als ich zur Verfügung hatte: Max Reinthaler als Innenverteidiger, Raphael Schifferl oder Patrick Hobsch. Den hätte ich damals auch gerne gehabt. Aber mir wurde gesagt, dass wir uns Hobsch nicht leisten können. Er weiß, wo das Tor steht und gehört zu den positiven Erscheinungen in dieser Saison. Dann wurden im Sommer mit Thore Jacobsen, Tunay Deniz oder David Philipp weitere Qualitätsspieler verpflichtet. Natürlich hat Philipp immer wieder Probleme, aber wenn man sich die Transfers ansieht, dann ist da richtig Potential dahinter. Oder Tim Danhof, der es auch schon in Aue bewiesen hat, und Florian Bähr. Ein gutes Beispiel ist auch die Verpflichtung von Rene Vollath, die mit Sicherheit dazu beigetragen hat, dass Marco Hiller sich bewegt. Auch der Japaner Kozuki ist ein Ausrufezeichen, das ist ein Top-Außenbahnspieler. Auch Morris Schröter muss sich jetzt ins Zeug legen, sonst spielt er nicht.

db24: Und trotz dieser ordentlichen Einkäufe steht die Mannschaft nicht recht viel besser als mit Ihnen in der Dritten Liga…

(überlegt): Ich bin fest davon überzeugt, dass man mit diesem Personal ganz andere Ziele hatte, als um dieselben Plätze zu spielen, wie wir das vor einem Jahr getan haben. Wenn ich mir schon alleine die Ersatzbank ansehe: Da sitzt richtig gute Qualität drauf. Mein Nachfolger hat enorme Möglichkeiten, er kann während des Spiels dominieren, korrigieren oder festigen. Diese Möglichkeiten hatte ich leider nicht.

db24: Hört sich fast so an, als hätten Sie diese Bedingungen auch gewünscht…

Ja, das kann man so sagen. Diesen internen Konkurrenzkampf, der jetzt da ist, wünscht sich jeder Trainer. Ich hätte mir auch so einen Kader gewünscht - und vor allem einen Sportdirektor an meiner Seite. Aber alle wissen, was im Sommer 2023 passiert ist, plötzlich war Günther Gorenzel weg und keiner wusste, wie es weitergeht. Unter welchen Bedingungen wir den Kader zusammenstellen mussten, das war schon grenzwertig. Das war für alle Beteiligten nicht schön. Ich habe mit Marc Pfeifer versucht, was nicht meine Aufgabe gewesen wäre, einen wettbewerbsfähigen Kader innerhalb weniger Wochen aufzustellen. Ich habe das nicht gemacht, um mich zu profilieren, sondern zu helfen. Ich hatte keine andere Chance.

db24: Kurz nach Saisonstart wurden vom Fanportal “Sechzger.de” üble Gerüchte in die Welt gesetzt - Stichwort “unwürdiges Transfergebaren”...

Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, die ganzen unwahren Behauptungen haben keine Spuren hinterlassen. Ich hätte eine Privatklage anstreben können, das wollte ich aber nicht, weil ich meine ganze Kraft für 1860 gebraucht habe. Das war im Nachgang eine Riesen-Sauerei und wünsche ich keinem.

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db24: Die Dritte Liga wirkt in diesem Jahr sehr ausgeglichen…

Wenn man vorne dabei sein will, dann muss man im Training und Spiel immer Vollgas geben. Die Spieler müssen Opfer bringen und mehr machen als alle anderen, dann kannst du Erfolg haben. Wieso ist Energie Cottbus vorne? Natürlich profitiert diese Mannschaft davon, dass sie aus einem Aufstieg, aus einer Euphorie kommt. Ich sage immer: Willen kann auch Qualität schlagen! Cottbus spielt eine herausragende Runde, deswegen steht der Klub zurecht da oben. Auch Aachen spielt eine gute Runde, auch wenn das ein oder andere Korn noch fehlt und die Effizienz vor dem Tor zu wünschen übrig lässt.

db24: Und die Löwen? Aktuell ist die Mannschaft auf Platz 12…

Es kommt darauf an, was in der Winterpause geschieht, ob der Kader weiter korrigiert wird. Wenn die Entwicklung greift, dann kommt man auf jeden Fall in die erste Tabellenhälfte - sprich auf einen Platz in den Top 10. Ich weiß, dass das die große Fangemeinde nicht zufrieden stellen wird, aber solange es kein Gemeinsam bei 1860 gibt, wird sich auch nicht der Erfolg einstellen.

db24: Also sind jedem Trainer bei den Löwen die Hände gebunden.

Es liegt auf der Hand. Jeder, der es sehen will, versteht die Situation bei 1860 München. Schade, dass es so ist. Man sieht bei vielen anderen Vereinen, was möglich ist, wenn man Hand in Hand arbeitet. Nicht umsonst hatte ich damals in der Pressekonferenz mit dem T-Shirt “Gemeinsam stärker in die Zukunft” für ein gemeinsames Handeln geworben. Es braucht alle, um Erfolg zu haben. Der Trainer ist nur ein Puzzleteil. Wenn etwas fehlt, dann ist es unvollständig und man wird die ausgerufenen Ziele nicht erreichen. Jedes Jahr spricht man bei 1860 vom Aufstieg. Aber das ist absolut illusorisch. Wir sind damals mit zwei Siegen gestartet, und plötzlich haben alle geträumt. Wir haben zwar auch sehr gute Spiele gemacht, aber mehr war mit diesem Kader leider nicht drin. Der Plan war ja, dass wir im Winter nachjustieren. Aber das durfte ich nicht mehr. Ich hätte mir mehr Vertrauen in meine Arbeit gewünscht.

db24: Wann haben Sie wieder einen neuen Trainer-Job?

Der Akku ist wieder aufgeladen: Ich bin bereit und offen für ein neues Abenteuer! Ich wünsche mir, dass ich nochmal die Chance bekomme, nach Deutschland zurückzukehren. Ich schaue viel MagentaSport: Die Dritte Liga ist eine attraktive Bühne. Viele Traditionsvereine, volle Stadien. Wenn es noch größere Stadien geben würde, dann wären noch mehr Zuschauer am Start, da bin ich mir sicher. Ich hoffe, dass mein Name bei dem ein oder anderen Verein gespeichert ist. Dadurch, dass ich aus der Schweiz komme, ist mein Name weniger präsent als die der deutschen Trainer, die für diese Liga in Frage kommen - das ist mir bewusst. Dennoch habe ich zehn Monate bei 1860 München verbracht. Jeder weiß, was es heißt, bei den Löwen Trainer zu sein.

db24: Sie hatten vorher kurz die Personalie Marco Hiller angesprochen.

Vollath ist ein spielender Torwart, der zusätzlich geholfen hat, dass sich Hiller noch mehr anstrengt. Der Trainer wollte mit der Vollath-Verpflichtung provozieren, und Hiller hat seitdem auch ordentlich performt, u.a. auch gleich zwei 3:0-Siege gefeiert. Aber zur ganzen Wahrheit gehört dazu, dass er auch nicht viel zu tun hatte. Wenn Hiller heute rückblickend auf die Situation mit mir schaut, wird er möglicherweise verstanden haben, was ich bei ihm auslösen wollte, als ich ihn rausgenommen hatte…

db24: Am Sonntag spielt 1860 beim Klub von Ex-Geschäftsführer Marc Pfeifer in Essen: Wie geht’s aus?

Rot-Weiss Essen blieb bislang hinter den Erwartungen - und trotzdem hat diese Mannschaft gezeigt, wozu sie im Stande ist: 3:3 in Dresden, 4:0 gegen Cottbus - 1860 sollte gewarnt sein. Auf der anderen Seite sind die Löwen auswärts stärker als daheim. Das ist eigentlich Wahnsinn. Trotzdem sollte man sich nicht auf seine Auswärtsstärke allein verlassen und zudem nicht vergessen, dass zwei Spiele durch Weitschuss-Tore in Bielefeld und Dortmund entschieden worden sind.