VON OLIVER GRISS

Sie kennen das vermutlich: Eine Kneipe will zusperren und spielt dann irgendwelche Lieder, die dem Gast zu fortgeschrittener Stunde unmissverständlich erklären: "Freunde, das war's jetzt! Die Party ist vorbei!" Der Klassiker von Robby Williams "Angels" ist zum Beispiel so ein Song.

Bei den Löwen funktioniert das Procedere etwas anders: Sie benötigen keine Rausschmeißer-Schnulzen. Ihre Drittliga-Partien im immer mehr bröckelnden Grünwalder Stadion sind kaum noch auszuhalten. Mit ihren Leistungen fegen Marco Hiller, Thore Jacobsen & Co. die Fans regelrecht aus der Kultstätte.

Nach dem dritten Gegentor setzte beim 0:4 gegen Verl eine Massenwanderung auf den Tribünen ein, die Anhänger konnten das Elend nicht mehr länger ansehen - und nein, das sind keine Eventfans, sondern leidende Löwen. Aber das nur zum Verständnis für die etwas jüngeren Fans, die meinen, sie müssen den älteren Löwen unter uns erklären, Giesing sei das Nonplusultra und sowieso alles geil, Oida. Willkommen beim torkelnden Stadtteilklub. Sechzig ist das schon lange nicht mehr, sondern ein bemitleidenswerter torkelnder verzwergter Verein, der sich für eine Vereinskneipe, das Panini-Album und eine Webseite feiert.

Und was man außerdem durchaus Beachtung schenken muss: Zwar verkündeten die Löwen nach der historischen Heimpleite auf ihrer Webseite, dass das Stadion mit 15.000 Fans wieder ausverkauft gewesen ist, doch die Zeitzeugen, die die sportliche Hinrichtung miterleben mussten, sahen mit dem Anpfiff bereits große Lücken auf der Haupttribüne, in der Stehhalle und in der Ostkurve. Stadionsprecher Sebastian Schäch verzichtete wieder einmal auf die Durchsage der Zuschauerzahl - um sich ein Gelächter unter den Anwesenden zu ersparen?

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Aber wen wundert’s: 1860 spielt echten Rausschmeißer-Fußball, bietet Profisport zum Abgewöhnen. Die Heimbilanz: Neun Auftritte, sechs Pleiten, nur zwei Siege - schlechter geht’s eigentlich nicht mehr. Zum Vergleich: In der Köllner-Saison 2020/2021 hatten die Löwen nach 38 Spieltagen insgesamt nur acht Niederlagen auf dem Konto.

Konsequenzen? Die Sechzger machen einfach so weiter wie bisher, vermutlich denken sie sich: “Lass die Kritiker reden, wir haben unsere Jobs und Pöstchen!” Herzlichen Glückwunsch! Und nein, keiner hat eine übertriebene Erwartungshaltung. Doch Profifußball ist Leistungssport - und die Minderleistungen sind auch nicht mit einem gekürzten Sportbudget zu entschuldigen. Auch wenn es immer wieder lanciert wird, der Etat liegt NICHT bei nur 4,5 Millionen Euro. Auch das gehört zur Chronistenpflicht. PS: Tabellenführer Energie Cottbus hat übrigens weniger Geld als die Sechzger zur Verfügung, aber das nur am Rande.

Die Löwen wirken auf allen Ebenen komplett überfordert - und wer will’s deswegen den Aktiven auf dem Platz verdenken: Solange der Klub sich so gespalten und uneinig präsentiert, wird das auch auf dem Fußballplatz nichts mehr. Der historische 9:0-Sieg auf der MV wirkt jetzt so richtig nach - zum Leidwesen dieser einst so großartigen Fußballmarke.

Oliver Griss (53) berichtet seit über 35 Jahren über die Münchner Löwen, u.a. 12 Jahre für die Münchner Abendzeitung zu den glorreichen Bundesliga-Zeiten.