VON OLIVER GRISS

Wir hätten an dieser Stelle getreu dem neuen Löwen-Duktus "Die weiß-blaue Welt ist schee" auch fabulieren können: Mei, wenn Aue nicht drei Tore geschossen hätte, hätten wir gewonnen. Oder: Wenn die Heimspiele nicht zählen würden, wäre der Löwe sogar ein ernsthafter Aufstiegskandidat. Oder wenn Karl-Heinz Wildmoser noch leben würde, dann wäre 1860 niemals ein torkelnder Stadtteil-Klub mit einer Vorliebe für Klebebildchen geworden, sondern ein ambitionierter Profiverein.

Doch nachdem auch die Dritte Liga kein “Wünsch-dir-was”-Wettbewerb ist, zählen weiterhin die harten Fakten: Platz 14 - sechs Punkte Vorsprung auf den ersten Abstiegsplatz. Frühes Aus im Toto-Pokal. Und damit dieselbe Situation wie 2023, als Agis Giannikis das Ruder bei 1860 München übernommen hat.

Und weil wir in Weihnachtsstimmung sind und in diesen tristen Tagen nicht ganz so sein wollen, haben wir sogar einen positiven Aspekt gefunden: Die Löwen sind in der internen Bayern-Wertung der Dritten Liga noch ungeschlagen: 2:1 in Ingolstadt, 2:2 in Unterhaching - ist doch auch schon mal etwas. Aber die Löwen sind (leider) nicht allein: Auch die Vorstädter kommen auf dieselbe Statistik - auch sie haben mit 2:1 gegen die Schanzer gewonnen und sich von 1860 mit 2:2 getrennt.

Auch Geschäftsführer Dr. Christian Werner hat in seiner Weihnachtsbotschaft auf seinen Social Media-Kanälen nach Positivem gesucht und zumindest aus seiner Sicht gefunden: “Wir konnten mit 24 Punkten das Ziel erreichen, mit geringerem Etat als 2023/24 besser abzuschneiden als in der Vorsaison.”

Wenn Werner seine blaue Brille abnehmen würde, kann er nur zu einem Urteil kommen: Die laufende Saison ist (wieder einmal) im Eimer! Noch deutlicher? Sie ist verpfuscht! Und bitte nicht die Nummer mit dem kleineren Budget ziehen! Aufsteiger Energie Cottbus, derzeit auf einem Aufstiegsplatz, hat weniger Kohle als 1860 zur Verfügung. Im Fußball ist nicht immer das Geld entscheidend - die Löwen sind durch die Saison 2016/2017 ein gebranntes Kind. Mit dem größten Budget sind sie sportlich aus der Zweiten Liga abgestiegen.

Auch Werner selbst muss sich hinterfragen, warum die Mannschaft viel zu selten ihr durchaus vorhandenes Potential für eine bessere Platzierung nicht abruft (Der Kader wirkt nicht rund - es fehlt ein zweikampfstarker Sechser und ein beweglicher Angreifer) - und dann kommt man schnell zwangsläufig zur Trainer-Frage: Ist Agis Giannikis der Trainer-Typ, der im neuen Jahr für eine Aufbruchstimmung in München-Giesing sorgen kann und den drohenden Besucher-Schwund im Grünwalder verhindert?

Bislang hat der Deutsch-Grieche bei 1860 nicht beweisen können, dass er ein Punktegarant ist (1,32 Zähler pro Partie) und für einen zuschauer-freundlichen erfolgreichen Spielstil steht, der zur Löwen-DNA passt. Und dass einzelne Profis nicht besser werden, sondern stagnieren (mit Ausnahme der beiden Talente Lukas Reich und Sean Dulic), ist ebenfalls besorgniserregend. Und dann noch die chronische Heimschwäche (neun Spiele, sechs Niederlagen) sowie die vogelwilde Abwehrbilanz: Noch nie hatte 1860 zu Drittliga-Zeiten mehr Gegentreffer als aktuell (34). Für diese Baustellen ist der Trainer zuständig. Wenn er es nicht schafft, die Löwen in die Spur zu bekommen, schaltet sich normalerweise der Sportdirektor ein.

Warum Werner mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit mit Giannikis ins Jahr 2025 geht, muss differenziert betrachtet werden: Zum einen darf der finanzielle Aspekt bei 1860 nicht unterschätzt werden, zum anderen dürfte Werner selbst die Überzeugung haben, dass seine zusammengestellte Mannschaft zu stark ist, um in den Abstiegskampf hinein gezogen zu werden, und ein neuer Trainer ohne massgeschneiderte Verstärkungen auch nicht mehr “oben” angreifen kann. Damit mag er trotz des durchaus anspruchsvollen Rückrunden-Starts (Saarbrücken, Stuttgart II, Köln und Ingolstadt) vielleicht recht haben, doch dass 1860 zu diesem Zeitpunkt der Runde schon alles verspielt hat, ist ein kaum zufriedenstellender Arbeitsnachweis für Werner. Dass er mal gesagt hat, dass er mit “jedem Budget” arbeiten könne und 1860 bis 2029 die Nummer 2 in Bayern sein wolle, legen wir unter seinem jugendlichen Leichtsinn zu den Akten. Und sowieso: Ein kleinwenig muss man Werner auch in Schutz nehmen: Allein der e.V. hatte ihm nach internen Machtspielchen die Geschäftsführer-Rolle zugetraut. Dass genau diese Leute sich jetzt wegducken, verwundert angesichts des Gegenwinds der eigenen Fans nicht.