Acht verlorene Jahre
- VON OLIVER GRISS
- 12.02.2025 09:05
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VON OLIVER GRISS
Die Menschlichkeit ist bei 1860 München in den letzten acht Jahren auf der Strecke geblieben. Frag nach bei Daniel Bierofka, Michael Köllner, Marc Pfeifer oder Hans Sitzberger. Alle waren erst gefragt - und wurden dann irgendwann zum Ärgernis. Aus politischen Gründen. Weil sie Mehrheitsgesellschafter Hasan Ismaik mit im Boot haben wollten, weil sie den "Giesinger Staat" entschlüsselten. Auch Martin Gräfer, Repräsentant von Hauptsponsor Die Bayerische, wurde übel mitgespielt. Jeder, der ein Gemeinsam forcierte, wurde "bearbeitet". Wir kennen die belustigenden Spielchen in der db24-Redaktion.Dass jetzt Präsident Robert Reisinger, der den Löwen-Kurs knapp acht Jahre mitgemacht hat, auf die gleiche Weise und vom mächtigen Verwaltungsrat ohne Vorwarnung abserviert wird, das ist mal wieder typisch Sechzig und Ironie des Schickssals. Andere sagen Karma dazu. Die Kameradschaft wird zwar im Vereinslied immer wieder besungen, doch davon ist der TSV 1860 soweit weg wie von einer eigenen Heimat im inneren MVV-Ring.
Nein, ich will jetzt nicht Reisinger zur Seite springen, dafür waren seine rund acht Jahre - wie erwartet - leider nur destruktiv, polarisierend und für die große deutsche Fußballmarke 1860 München ein einziges Desaster. Die Löwen sind unter Reisinger im Grünwalder-Rausch keinen Millimeter vorangekommen. Nichts, was er großspurig auf seine Agenda geschrieben hatte, wurde umgesetzt: Stadion, Turnhalle, Zweite Liga, dritter Gesellschafter. Dass der erfolgreiche Unternehmensberater trotzdem mit seinem Wirken zufrieden ist (siehe BILD-Interview), ist ein typischer Reisinger.
Was aber noch viel schlimmer wirkt: Viele Fans und Ehemalige haben sich in den letzten Jahren von 1860 München entliebt. Der große Fredi Heiß, Meisterspieler von 1966 und obendrein ein toller Mensch, geht solange nicht mehr ins Grünwalder Stadion, bis ein politischer Cut erfolgt. Auch der Umgang mit Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter war eine absolute Farce. Zurecht deutete der Politiker im exklusiven db24-Interview zuletzt an, dass Reisinger die Rollenverteilung nicht verstehe und die Fakten ignoriere. Sogar treue Schreiberlinge, die Reisingers Kurs jahrelang stützten, wandten sich zuletzt überraschenderweise ab. Ebenso viele Homeboys und Einpeitscher.
Abschied rückt näher: Welche Note geben Sie Robert Reisinger für seine Präsidentschaft bei 1860 München?
Reisinger, der sich selbst vor einigen Jahren als “positiver Hooligan-Präsident” titulierte, war kein Brückenbauer und Diplomat, sondern ein Präsident, der in die bewegte Vereinsgeschichte als Aussitzer und Anti-Wildmoser eingeht - und das alles unter der strengen Aufsicht des Verwaltungsrats, der das Wirken viel zu lange toleriert hat und sich mitschuldig macht.
Dass Reisinger auf seiner Schlussrunde eingelenkt, im Herbst 2024 eine neue Darlehensvereinbarung mit Mehrheitsgesellschafter Hasan Ismaik unterschrieben hat (um den Profifußball beim TSV 1860 zu retten) und hinterher auf Konfrontation zu den Kontrolleuren ging, ehrt ihn. Letzten Endes ist Reisinger aber genau über den Kurs gestolpert, der er fast acht Jahre vorgelebt hat. Es waren acht verlorene Jahre für die Löwen.
Oliver Griss (53) begleitet den TSV 1860 journalistisch seit 1989. Zu erfolgreichen Bundesliga-Zeiten war er 12 Jahren bei der Münchner Abendzeitung. Seit 2011 betreibt er db24.