VON OLIVER GRISS UND IMAGO (FOTO)

Demnächst wird es beim TSV 1860 einen Stabwechsel geben: Robert Reisinger (61) muss nach acht Jahren im Amt aufhören - seine Bilanz? Erschreckend! Der Klub hat sich in dieser langen Zeit im Kreis gedreht. Weder infrastrukturell und wirtschaftlich noch sportlich haben sich die Münchner Löwen in die richtige Richtung bewegt. Der Verwaltungsrat hat Gernot Mang als Nachfolger vorgeschlagen - er muss von den Mitgliedern bestätigt werden. Nachdem es nur den einen Kandidaten gibt, gilt seine Wahl als Formsache. Es sei denn, der Wahlkampf nimmt noch so richtig Fahrt auf...

Die aktuelle Vereinsriege war in der Vergangenheit nie um Ausreden verlegen, wenn es darum ging, ihre Arbeit zu verteidigen. Vielleicht hätten sie sich nicht nur mit der Satzung, sondern vielmehr mit der Chronik des TSV 1860 befassen sollen, welche Figuren den Verein bewegt haben. Einer der klügsten Köpfe war unbestritten Karl-Heinz Wildmoser, der von 1992 bis 2004 auf dem Löwen-Thron saß.

Heute vor genau 21 Jahren, am 15. März 2004, trat Wildmoser im Zuge des Arena-Skandals zurück. Besser gesagt: Er wurde dazu gedrängt. Es war der Tag, an dem der leidvolle Absturz des TSV 1860 begann. Wildmosers Rückzug war ein Tag der Schande: Der Großgastronom wurde an der Grünwalder Straße 114 unter dem Jubel einer Minderheit der aktiven Fanszene beleidigt und beschimpft. Einer dieser sogenannten Löwen-“Fans” urinierte trotz Polizeiaufgebot am Trainingsgelände sogar an Wildmosers Auto. Bilder, die nicht aus dem Gedächtnis gehen. Szenen, die nicht selten an das Verhalten einiger Fans gegenüber Mehrheitsgesellschafter Hasan Ismaik erinnern.

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Nachdem Wildmoser unter dem Schutz der Security zum letzten Mal in seinem Leben von der Geschäftsstelle mit seinem Audi A8 davonbrauste, sagte er: „1860 ist mir ans Herz gewachsen, aber wenn man zwölf Jahre lang permanent beschimpft und dumm angemacht wird, dann geht einem das irgendwann auf den Geist. In sechs Wochen kriege ich die Rente, die will ich genießen.” Sechs Jahre später starb Wildmoser im Alter von 71. Er ging viel zu früh. Er zerbrach an 1860 - am Kampf der gegen ihn geführt wurde. Dabei war Wildmoser ein Mann mit Durchblick und Visionen. 1860 war zu Bundesliga-Zeiten der erste Klub in Deutschland, der beispielsweise mit chinesischen Firmen Partnerschaften eingegangen war - das zeigte Wildmosers Weitblick. Dass 1860 ein NLZ hat, war auch Wildmosers Verdienst.

Das Lebenswerk von Wildmoser, der den Verein seinerzeit von der Bayernliga bis in den Europapokal führte, wurde nach seinem Aus peu à peu jedes Jahr ein kleines Stückchen mehr zerstört. Der Tiefpunkt: Weil sich der TSV 1860 im Jahr 2011 nicht mehr selbst zu helfen wusste, musste mit Hasan Ismaik ein ausländischer Geschäftsmann aus Abu Dhabi dem Klub finanziell unter die Arme greifen. Doch die Löwen wussten mit seiner Unterstützung nichts anzufangen. Als er in der Saison 2016/2017 das Zepter übernahm und Millionen investierte, stieg der Verein mit Namen wie Vitor Pereira und Ian Ayre (Manager des Jahres in England) sportlich aus der Zweiten Liga ab. Weil Ismaik nicht bereit war, 11 Millionen Euro auf den Tisch zu legen, stürzte 1860 sogar in die Viertklassigkeit ab. Seit 2018 spielt der Klub wieder in der Drittklassigkeit, aber mehr schlecht als recht. Auch in diesem Jahr geht nur um den Klassenerhalt. Nicht wenige bei 1860 geben sich mit dem geschrumpften Löwen zufrieden.

Kein Präsident nach Wildmoser schaffte es, den TSV 1860 nur ansatzweise so zu vertreten, wie es der Klub aufgrund seiner Größe und Tradition verdient hätte. Der Verein gibt in der Öffentlichkeit ein äußerst bemitleidenswertes Bild ab - nicht nur gegenüber der Stadt, sondern auch gegenüber der Münchner Wirtschaft. Mit dem Österreicher Gernot Mang tritt im Sommer ein im Verein relativ unbekannter Mann an die Spitze. Sollte der in Solln lebende Geschäftsmann den vom Verwaltungsrat eingeschlagenen Kurs weiterführen, wird er nur einer von vielen sein - und nicht der, den der Klub benötigt, um wieder aufzustehen.