Zweiter von rechts: Oliver Griss, seit Kindesbeinen 1860-Fan. Zweiter von rechts: Oliver Griss, seit Kindesbeinen 1860-Fan.Hans Eiberle, früherer Kultreporter der Süddeutschen Zeitung, führte mit dieblaue24-Betreiber Oliver Griss (41) für das Internetportal "vms-sportjournalisten.de" ein Interview über den schweren Weg in die Selbständigkeit. 

 

Schlafen Sie in Sechziger-Bettwäsche?

OLIVER GRISS: Als kleiner Junge habe ich natürlich in Löwen-Bettwäsche geschlafen. Jetzt nicht mehr, meine Freundin würde mir das übelnehmen (lacht).

 

dieblaue24 ist vermutlich das einzige private Internetportal in Deutschland, das sich nur mit einem Verein beschäftigt: dem TSV München von 1860. Wie kam es dazu?

Die Idee hatte ich schon 2010, kurz nach meinem Ausstieg bei der Abendzeitung. Da hatte ich ein Gespräch mit Comarch, dem damaligen Hauptsponsor von 1860, einem polnischen Software-Entwickler. Die Marketingleute fanden das ganz gut, haben sich aber mit Blick auf ihr Budget dagegen entschieden. Dann habe ich von meinem Kumpel Imre Szabics, der früher in der Bundesliga gespielt hat und damals vom FC Augsburg zu Sturm Graz gewechselt war, erfahren, dass es in Graz auch so eine Seite gibt, die sturm12.at heißt. Ich habe mir ein Konzept überlegt, nach ein paar Wochen war die Seite fertig und ich bin im Juni 2011 online gegangen.

 

Warum „dieblaue24“?

Natürlich habe ich als kleiner Junge auch die frühere Stadionzeitung „Die Blaue, die genaue“ gesammelt. Der Name hat gepasst. Und ich habe mir gesagt: Wenn ich so was mache, dann will ich die Sechziger 24 Stunden am Tag beliefern - der Name war geboren: dieblaue24. Ich stelle auch noch um Mitternacht Meldungen online, wenn ich weiß, die Münchner Zeitungen haben sie nicht.

 

Wie dicht sind Sie an 1860 dran?

Viele sagen süffisant, dass ich da neben dem Löwen-Stüberl mein Biwak aufgeschlagen habe. Tatsächlich bin ich im Grunde sieben Tage die Woche am 1860-Trainingsgelände. Über Auswärtsspiele berichte ich zum Teil vom Fernseher - wie teilweise die großen Zeitungsredaktionen auch. Wenn ich das Geld hätte, würde ich aber immer mitfahren. Bei Heimspielen sitze ich natürlich auf der Pressetribüne. Was sehr gut ankommt, sind die Liveticker von Testspielen, die nicht im Fernsehen kommen. Natürlich gewinnst du mit der Sprache keinen Literaturpreis, aber es geht darum, so schnell wie möglich die Fans zu informieren. Diskussionsstoff bietet bei jedem Spiel auch die Notenparade, die Bewertungen der Spieler.

 

Gab es am Anfang Schwierigkeiten mit der Technik?

Das ist ein Problem. Obwohl ich mich zur Facebook-Generation zähle, bin ich nicht der große Technik-Freak. Es war am Anfang nicht einfach, das Content Management System kurz CMS zu verstehen. Es kommt schon manchmal vor, dass die Seite wegen Überlastung zusammenbricht - aber dann helfen mir Fans, die Seite wieder zum Laufen zu bringen.

 

Sie sind bekennender Sechziger-Fan. Kommt es manchmal zu Konflikten zwischen dem Fan und dem Journalisten Oliver Griss.

Vielleicht nehme ich Vieles, was bei 1860 schlecht läuft, zu persönlich. Bei der Abendzeitung wurde mir nachgesagt, ich sei Löwen-Mitglied. Das bin ich nicht. Aber ich weiß ich aus sicherer Quelle, dass viele Kollegen bei Bayern München Mitglied sind. Und dennoch habe ich immer versucht, den Spagat zu schaffen. Als ich als junger Journalist nach München kam, haben es viele ältere Kollegen nicht verstanden, dass ich in kürzester Zeit ein Top-Netzwerk aufgebaut hatte und immer wieder an Exklusiv-Geschichten ran kam.

 

Wie viel Startkapital war nötig und woher haben Sie das bekommen?

Insgesamt habe ich, einschließlich Laptop und Fotoapparat, rund 7000 Euro investiert. Meine Abfindung von der AZ habe ich in meine Firma gesteckt.

 

Sie waren plötzlich Unternehmer, mussten Anzeigen (Banner) verkaufen. Hat Ihnen dabei Ihre kaufmännische Ausbildung genützt?

Nun ja, eher nicht. Das läuft heute alles ganz anders. Da kommst du nur noch rein, wenn du Kontakte bei Firmen hast, zum Beispiel mit Sponsoren von Sechzig, oder wenn du Klinken putzt. Am Anfang hatte ich einen Vermarkter, die Service GmbH des Bayerischen Fußballverbandes. Das ist aber nicht so zum Tragen gekommen wie ich mir erhofft hatte, auch weil die Besucherzahlen noch nicht gut genug waren. Die Stadtsparkasse München war drei Monate drauf. Dann wurde mir gesagt, dass die Löwen-Bankkarte nicht genug ziehe. Mein größter Sponsor ist Hacker-Pschorr, einer der langjährigen Premiumpartner von Sechzig. Dafür bin ich sehr dankbar. Ein großes Autohaus aus Niederbayern, dessen Besitzer ein Blauer ist, macht es jetzt mal zur Probe. Die Einnahmen aus der Bannerwerbung spielen sich im überschaubaren Bereich ab. Dennoch: Oft muss man zwei Schritte zurück gehen, um glücklich zu werden.

 

Sie hoffen natürlich, dass 1860 in die 1. Bundesliga aufsteigt: Als Fan, als Journalist und als Unternehmer.

Sechzig ist für mich eine Herzensangelegenheit: Egal ob Bundesliga oder Bayernliga. Für mich war es als Bub oder später im Amateurbereich immer das Größte, gegen 1860 zu spielen. Der Verein hat so viele Fans, aber es gelingt nicht, sich vom FC Bayern komplett abzugrenzen und eine eigene Marke aufzubauen. Sechzig muss man verstehen. Zweite Liga und dort Mittelmaß – das will der Fan nicht mehr haben. Es gibt ja viele passive Löwenfans. Wenn Enttäuschung Einzug hält, wie bei der Niederlage gegen Kaiserslautern oder Bochum, dann gehen die Besucherzahlen auf dieblaue24 um 30 Prozent zurück.

 

Wie kommen Sie mit 1860 aus? dieblaue24 konkurriert mit tsv1860.de, der offiziellen Seite des Vereins. Und Sie berichten kritisch: Trainer-Wechsel, Posse um Sven-Göran Eriksson, Machtkampf mit Investor Hasan Ismaik und Stadion-Diskussion.

Meine Seite soll ja bewusst ein bisschen boulevardesk sein, wie ich es bei der Abendzeitung gelernt habe. Das macht 1860 auf seiner Seite nicht. Deswegen sehe ich mich nicht als Konkurrenz zur Vereinshomepage,sondern als zusätzliches Angebot. Probleme hatte ich im Trainingslager in der Türkei. Der Verein hat mich nicht so behandelt wie die Kollegen und wie ich das erwartet hatte. Ich wurde nicht zur Pressekonferenz eingeladen, auf der verkündet wurde, dass Sven-Göran Eriksson nicht Trainer wird. 

 

Wie ist Ihr Verhältnis zu den Kollegen?

Es gab Kollegen, die mich mit aller Macht verhindern wollten - und das nur, weil ich mit der Zeit gehe, schneller bin und für sie deswegen unangenehm bin? Mit dieblaue24 habe ich ein Medium geschaffen, das die Berichterstattung über 1860 teilweise revolutioniert hat. Warum? Es gibt Sportchefs in München, die sagen: Warum hat dieblaue24 diese Meldung und wir nicht? Und dann weiß ich: Ich bin auf dem richtigen Weg. Ich sehe mich in meiner Arbeit schon ein wenig als Vorreiter – im Grunde gibt es bei diesem Konkurrenzkampf aber nur einen Gewinner: 1860. Je mehr über den Verein berichtet wird, desto informativer für die riesengroße Löwen-Familie.

 

Wie kommt www.dieblaue24 bei den Nutzern an?

Mein Rekord waren 19.200 Besucher an einem Tag, das war in der heißen Phase mit Investor Ismaik. Als ich 1999 aus dem Chiemgau nach München zurückkehrte, war ich so naiv zu glauben, dass es beim Fußball nur um Sport geht. Ich hätte nie gedacht, dass Vereinspolitik so wichtig für mich in meinem Reporterleben werden wird. Im Januar 2013 hatte ich 980 000 Seitenaufrufe und etwa 65.000 Besucher. Im Februar waren es etwa 700.000. dieblaue24 wird übrigens in 120 Ländern gelesen. Das sind gute Zahlen für ein Klein-Unternehmen wie dieblaue24.

 

Es gibt ein Forum für Nutzer. Wer prüft das, bevor es reingestellt wird? Da war zum Beispiel zu lesen: „Hier hilft nur ein radikaler Schnitt: Was heißt, in die sportliche Führung müssen absolute Profis implantiert werden. Ohne Stallgeruch,ohne den reflexartigen ELIL Spruch und mit einer Vita, dass es den Mitläufern beim anpi..en eine Harnverstopfung beschert.“

Da können die Leute kommentieren. Die Stamm-User sind freigeschaltet, die werden nicht kontrolliert. Andere nicht. Wenn ich bei denen merke, dass der Kommentar unter der Gürtellinie ist, mit Schimpfwörtern, korrigiere ich das. Aber einige rutschen leider immer mal wieder durch.

Was raten Sie Kollegen, die es mit einem Internetportal versuchen wollen?

Kreativität, Professionalität und Durchhaltevermögen.