"Wann kommst du wieder?"
- VON OLIVER GRISS
- 24.04.2025 19:36
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VON OLIVER GRISS
So unrecht hatte Lorant mit dieser Aussage nicht, denn bevor der frühere Bundesliga-Profi von Eintracht Frankfurt die Löwen übernahm, stand der Altmeister von 1966 mit einem Fuß in der Landesliga, die A-Jugend des TSV 1860 verlor in dieser Zeit ein Punktspiel mit 2:12 gegen den FC Bayern - und die Tornetze an der Grünwalder Straße 114 waren teilweise zerrissen und die Plätze hatten bestenfalls B-Klassen-Niveau. Das war alles, bevor Lorant im Sommer 1992 die Löwen übernahm. Was kam danach? Erfolg, Erfolg, Erfolg - Präsident Karl-Heinz Wildmoser und Werner Lorant bildeten eine Zweckgemeinschaft, die ihresgleichen suchte. Im Grunde waren die beiden Sturköpfe so verschieden - und doch trieb sie vor allem eines an: Den Abstand zum FC Bayern immer mehr zu verkürzen. Die einen nennen das “Größenwahn”, die anderen sportlichen Ehrgeiz. Diese kongeniale Duo war eine Schau. Echte Münchner Fußball-Originale.
Lorant war für uns Journalisten sowieso ein Geschenk des Himmels: Er bot immer Stoff - egal zu welchem Thema. Für den TV-Sender Premiere stürzte er sich sogar einmal vom Hamburger Fernsehturm. Am liebsten plauderte Lorant bei “Expresso” und Cola im Löwenstüberl. Es war allerbestes Kabarett, wenn Lorant seine täglichen inoffiziellen Pressekonferenzen in der Höhle des Löwen abgehalten hat. Besonders lustig wurde es, wenn am Nachbartisch die alten Recken um Bernhard Winkler oder Marco Kurz zum Mittagessen vorbeischauten und sich Lorant dazu animiert fühlte, den ein oder anderen Kollegen in die Pfanne zu hauen. Einmal sagte er: “Dem Greilich schneide ich seine blonden Haare ab. Der hat seinen Kopf nur für den Frisör.” Es kam auch desöfteren vor, dass Reporterkollegen entnervt aus dem Löwenstüberl flüchteten. Lorant war unberechenbar.
Auch ich, damals junger Löwen-Reporter für die Münchner Abendzeitung, hatte mit Lorant immer wieder meine Scharmützel: Im Frühjahr 2001 thematisierte ich, dass Lorant bei den Talenten aus dem eigenen Nachwuchs wie Benny Lauth, Danny Fuchs oder Necat Aygün mal genauer hinschauen sollte - Lorant fand das gar nicht witzig und strafte mich in einer Pressekonferenz im dritten Stock der Geschäftsstelle wie folgt ab: “Der hat von Tüten und Blasen keine Ahnung, aber gar keine Ahnung. Es gibt viel bessere Talente. Er wollte selbst ein großer Fußballer sein, hat’s aber nicht bis zur Bezirksoberliga geschafft…” Lorant nutzte die Bühne, wenn er sich ungerecht behandelt fühlte. Keiner schenkte sich was. Aber Lorant war freilich falsch informiert: Mit dem ESV Freilassing spielte ich in der Landesliga Süd - u.a. auch gegen die Löwen-Amateure. Der Radiosender “Bayern 3” machte aus dem Lorant-Rüffel einen Rap, weil der Trainer Tüten und Tuten durcheinander brachte. Lorant war Unterhaltung pur. Köstlich. Im nachhinein war Lorant mein bester Trainer: Er hat mich heiß gemacht, wieder zu spielen.
Auch die gemeinsamen Trainingslager-Nächte hatten es wahrlich in sich: Trainingslager mit 1860 - das waren die härtesten Zeit des Jahres, denn Lorant verlangte von uns Reportern die selbe Standhaftigkeit, die er sich selbst auferlegte. Keiner wollte dieses Spektakel verpassen, denn dort wurden auch Geschichten und Aufmacher geboren. Nicht selten wurde erst um vier Uhr morgens das Licht ausgeknipst. Und wer war der Erste, der am nächsten Morgen am Hotel-Eingang die Laufgruppe anfauchte? Lorant!
Oder die Analysen nach den Spielen an irgendeinem deutschen Flughafen am Stehtisch: Der alte Wildmoser, der Heinzi (Wildmoser), Thomas Nuggis von “BILD” und Axel Müller vom BR - und ich: Es wurde geraucht und gefaucht. Es wurde solange diskutiert, bis unsere Namen am Flughafen ausgerufen wurden: “Letzter Aufruf an die Herren Wildmoser, Lorant…” Die Spieler saßen schon alle längst im Flieger. Sechzig war anders als heutzutage.
Zum Champions League-Qualifikationsspiel im August 2000 sind wir schon Tage zuvor nach Leeds geflogen - und als das Spiel unglücklich mit 1:2 verloren ging, standen wir im Aufzug: Lorant (im feinen Klub-Anzug) und sein Gegenüber David O’Leary schwiegen sich an. Der Löwen-Dompteur sagte zu diesem Spiel Jahre später: “Wir sind in England betrogen worden. Hätte es damals einen VAR gegeben, hätte sich 1860 für die Champions League qualifiziert. Wer weiß, wohin der Weg des Klubs dann hingegangen wäre…”
Mit Wildmoser hatte sich Lorant nicht mehr ausgesprochen. Er war 2010 auf der Beerdigung des Großgastronom. Als wir vor einigen Jahren über die alten Zeiten philosophierten, was hätte anders laufen müssen, kullerten plötzlich Tränen über Lorants Gesicht: “Mein Präsident - er war einfach der Beste! Schade, dass wir uns nicht mehr ausgesprochen haben.” Selten zuvor hatte ich diese menschliche Ader bei Lorant gespürt. Überhaupt: In seinen letzten Jahren wurde er immer weicher. Wann immer ich mich von ihm verabschiedete, sagt er: “Wann kommst du wieder?” Ich war auf seinen 75. Geburtstag auf der Fraueninsel eingeladen. An Weihnachten 2024 trafen wir uns im “Wochinger Bräu” in Traunstein. Vor rund sechs Wochen hatten wir das letzte Mal Kontakt via Facetime. Er war schon arg geschwächt. Es war ein Abschied für immer.
Diese unvergessene Löwen-Zeit aus der ersten Reihe mitzuerleben, war das schönste Geschenk meiner beruflichen Laufbahn - und ich durfte für die AZ seinerzeit die deutsche Nationalmannschaft beim “Sommermärchen 2006” begleiten. Aber das Duo Lorant & Wildmoser toppte einfach alles. Danke!