VON OLIVER GRISS

Noch ein letztes Mal gegen Kaiserslautern, dann können die Löwen endlich durchschnaufen und die erste Drittliga-Vorrunde intensiv aufarbeiten. Der TSV 1860 hat in etwa das erreicht, was der Mannschaft vor Saisonbeginn zugetraut worden ist. Natürlich, mit einem bisschen mehr Glück wäre freilich auch eine bessere Platzierung möglich gewesen, vor allem, wenn man bedenkt, dass die Bierofka-Elf regelmäßig Punkte in der Schlussphase verschenkt hat - so wie in Haching oder Osnabrück.

Was aber viel schlimmer bei 1860 ist und viele belastet, ist die unsägliche Vereinspolitik. Das vorerst letzte Armutszeugnis ist die abgesagte Weihnachtsfeier aus Finanzgründen. Ein Vorgang, der deutlich macht, was an der Grünwalder Straße alles falsch läuft. Eine Weihnachtsfeier hat auch den Hintergedanken, das Zusammengehörigkeitsgefühl zu fördern. Die Löwen verzichten darauf, obwohl es bestimmt einige Sponsoren oder Gönner gegeben hätte, die für die Kosten aufgekommen wären. Edel-Fan Thomas Hirschberger betreibt beispielsweise die erfolgreiche Burger-Kette “Hans im Glück”. Er macht pro Jahr 100 Millionen Euro Umsatz. Auf Hirschbergers Netzwerk hatte die Mitgliederversammlung bewusst verzichtet.

Es wundert nicht, dass bei der Mannschaft des TSV 1860 seit einigen Wochen der Wurm drin ist. Natürlich bekommen die Spieler auch mit, dass das innerbetriebliche Klima frostig ist. Wohlfühlatmosphäre funktioniert definitiv anders. Alles erinnert in letzter Zeit an die Wochen vor dem Zwangsabstieg. Ian Ayre, der ehemalige Manager des FC Liverpool, hatte 2017 nach wenigen Wochen Reißaus genommen, weil ihm dieses Hauen und Stechen im Verein zuwider war. Und Ex-Profis sind bei 1860 sowieso unerwünscht. Sie könnten ja Verbesserungsvorschläge haben…

Früher waren die Löwen ein stolzer Klub, ein Verein mit Ambitionen, mittlerweile gibt der Verein ein jämmerliches Bild in der Öffentlichkeit ab. Präsident Robert Reisinger tritt meist nur in Erscheinung, wenn er Investor Hasan Ismaik (“Er ist von uns abhängig”) vors Schienbein tritt - oder die 50+1-Regel in Anspruch nimmt, um seine vermeintliche “Macht” zu demonstrieren. Wenn dem Verein Schaden zugefügt wird (Pyro), dann taucht er ab. Man will ja schließlich nicht seine Wählerschaft brüskieren.

Reisinger hat es in anderthalb Jahren nicht geschafft, 1860 zu vereinen oder sportliche Visionen auf den Weg zu bringen. Bezeichnend ist auch, dass sich Reisinger und Bierofka seit dem Zwangsabstieg aus dem Weg gehen - und das obwohl Bierofka die größte Identifikationsfigur und das Gesicht des Klubs ist. Stellt sich die Frage: Ist Bierofka dem Präsidenten ein Dorn im Auge? Bierofka steht für Leidenschaft, Löwen-Herz und Zusammenhalt - für was aber steht eigentlich Reisinger bei 1860? Der Retro-Präsident, der einst Geschäftsführer der KGaA werden wollte, aber beim Präsidium Mayrhofer abgeblitzt war, versteckt sich hinter 50+1. Welche Rolle Geschäftsführer Michael Scharold spielt, ist auch nicht schlüssig. Er mag zwar Löwen-Sympathien haben, aber sein Wirken ist zumindest sehr fragwürdig. Er scheint überfordert mit dieser großartigen Aufgabe. Stimmig ist das alles jedenfalls nicht. Im neuen Verwaltungsrat sitzt zudem eine Person, die vor einigen Jahren genüsslich ein Anti-Ismaik-Plakat auf der Tribüne hochgehalten hat (Beweisfoto vorhanden). Der TSV befindet sich auf dem blauen Irrweg.

Klar ist: Einen der größten Traditionsvereine Deutschland darf man nicht so führen wie Reisinger, will der Profifußball des TSV 1860 eine Chance haben.