Wettberg im db24-Derby-Interview: "Das Momentum liegt auf der Seite der Löwen"
- VON OLIVER GRISS UND ULI WAGNER (Foto)
- 12.03.2019 09:26
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VON OLIVER GRISS UND ULI WAGNER (FOTO)
“König von Giesing” - dieser Titel bleibt Karsten Wettberg für immer. Der heute 77-Jährige hatte den TSV 1860 im Jahr 1991 zum ersten Mal von der Bayernliga in die Zweite Liga geführt. Und selbstverständlich wird Wettberg heute auf der Tribüne des Grünwalder Stadions sitzen, wenn die Löwen die SpVgg Unterhaching im Drittliga-Derby (19 Uhr, dieblaue24-Liveticker) empfangen. “Natürlich werde ich mir dieses Spiel ansehen, schon allein die Frage danach ist eine Beleidigung”, sagte Wettberg schmunzelnd im db24-Interview.
dieblaue24: Die Löwen haben in den letzten vier Spielen drei Siege erzielt: Wann kann 1860 den vorzeitigen Klassenerhalt feiern?
KARSTEN WETTBERG: Lange dauert es nicht mehr - zum Glück (lacht). Dass die Löwen zu diesem Zeitpunkt schon so viele Punkte auf dem Konto haben, hatte ich gehofft, aber nicht unbedingt damit gerechnet. Ich muss ehrlich zugeben: Die letzten Spiele, klammern wir mal die erste Hälfte gegen Rostock aus, haben mir sehr gut gefallen. Man merkt die Siegermentalität und die gute körperliche Verfassung der Mannschaft - und es zahlt sich natürlich aus, dass Daniel Bierofka jetzt wieder Vollzeit bei der Mannschaft ist und jede Einheit leitet. Es war von ihm fast ein Kunststück, dass die Mannschaft trotz seiner Abwesenheit so gut performt hat. Glückwunsch dazu!
Jetzt kommt Haching ins Grünwalder Stadion: Wer ist Favorit?
Es ist ein Spiel auf Augenhöhe. Der, der das erste Tor erzielt, wird das Derby womöglich auch gewinnen. Ein kleiner Vorteil könnte für 1860 sein, dass Haching derzeit auf der Stelle tritt: Von fünf Spielen haben sie nur eines gewonnen. Das Momentum steht auf der Seite der Löwen. Überzeugt bin ich noch nicht von Prince Owusu. Da fehlt zu Adriano Grimaldi noch viel. Ich kann mir bis heute nicht erklären, warum man diesen Topmann einfach so abgegeben hat. 1860 ist in der Winterpause großes Risiko gegangen, sich nicht zu verstärken. Der Vorstand darf sich bei Bierofka bedanken, dass der Verein jetzt schon aus dem Gröbsten heraus ist. Und jetzt zu Haching: Was Manni Schwabl leistet, wie er von der Jugend bis in den Profibereich den Verein unter Kontrolle hat, davor muss man den Hut ziehen. Mit ganz wenig Geld schafft er viel. Das kann man nur bewundern. Er würde auch 1860 gut zu Gesicht stehen.
Das Kapitel 1860 ist für ihn aber abgeschlossen.
Ja, weil Offizielle ihn nie gefragt haben. Er hätte das schon bei 1860 gemacht. Im Herzen ist er ja ein Dunkelblauer. Aber das ist typisch für den Verein: Die, die den Stallgeruch haben, haben keine Chance bei Sechzig. Daniel Bierofka ist die Ausnahme - und selbst sein Weg, sich durchzusetzen, war sehr hart. Wie beispielsweise mit Bernhard Winkler umgegangen wurde, da werde ich heute noch richtig sauer. Warum sogenannte Fanvereinigungen gegen solche Ausnahme-Löwen sind, entzieht sich meiner Kenntnis…
1860-Boss Robert Reisinger hat den Konsolidierungskurs ausgerufen. Deswegen muss man momentan muss davon ausgehen, dass der TSV 1860 seine aktuelle Mannschaft nicht halten kann: Lorenz muss zurück nach Bochum, Owusu zurück nach Bielefeld. Berzels Vertrag ist immer noch nicht verlängert…
Mit aller Vorsicht: Ich sehe es als große Gefahr, dass ein Verein wie 1860 nur mit drei Millionen Euro in die Saison starten will. Mit diesem Budget kann es vom ersten Spieltag an nur um den Klassenerhalt gehen. Ist das der Anspruch von 1860? Da braucht man viel Glück, um nicht abzusteigen. Ich finde, man lässt Bierofka im Regen stehen, so nach dem Motto: Jetzt mach ein Mal! Zur weiteren Vereinspolitik will ich mich nicht mehr äußern, auch wenn ich Hans Sitzberger weiter sehr schätze, weil er sich im Verein unwahrscheinlich einbringt.
Warum wollen Sie keine Kritik mehr üben?
Es ist alles gesagt, es liegt alles auf der Hand. Und wenn ich jetzt wieder den Finger in die Wunde lege, dann heißt’s: Was will der alte Wettberg? Ich will keinem Angestellten sein Platzerl wegnehmen, aber bei 1860 läuft einiges in die verkehrte Richtung. Wie es um 1860 bestellt ist, sieht man allein an der Jugendarbeit: Fast nur ehrenamtliche Trainer, Haching beschäftigt vier Vollzeittrainer im Nachwuchsbereich. Das sagt viel aus. Wir sind im Jugendbereich nur noch die Nummer 5 oder 6 in Bayern.
Ein großer Kostenfaktor bei 1860 ist auch das Grünwalder Stadion.
Es sagt doch alles aus, wenn 15.000 Zuschauer nicht reichen, um eine schwarze Null zu schreiben. Das ist bezeichnend. Ich bin gespannt auf die Machbarkeitsstudie. Sie wird das bringen, was wir alle schon längst wissen: Es wird nicht funktionieren. Für mich gehts bei diesem Akt nur darum, Zeit zu gewinnen. Jeder weiß, dass ich dieses Stadion liebe, aber 1860 hat in diesem Stadion keine Perspektive, will man noch einmal nach oben. Der Profifußball ist nur möglich in einem Stadion mit VIP-Bereich, mit allen Dingen, die man eben für ein modernes Stadion braucht. Nichts davon kann das Grünwalder Stadion bieten. Sechzig braucht ein eigenes Stadion mit 25.000 bis 30.000 Plätzen - und wer sich dagegen sperrt, macht sich verantwortlich, dass der Verein aufs Sterbebett muss. Insolvenz kann keine Lösung sein. Ich habe Insolvenzen hautnah miterlebt, mein bester Freund Willi Mantel, der leider schon verstorben ist, dem blieb am Ende nichts mehr. Der FC Wacker ist für 1860 ein abschreckendes Beispiel. Früher war der Klub die Nummer 2 in München, heute spielt er gegen die Dritte Mannschaft der Löwen in der Kreisliga.
Wie sehen Sie eigentlich die Präsidentschaftsbewerbung von Saki Stimoniaris?
Für 1860 wäre Stimoniaris ein Glücksfall. Er ist ein Top-Mann mit unglaublich vielen Verbindungen. Er ist bei MAN ein hohes Tier, sitzt bei VW im Aufsichtsrat. Ihn als Präsident zu bestellen, würde die Löwen den entscheidenden Schritt nach vorne bringen. Für mich ist Stimoniaris eine Chance. Aber wie wir unseren Verein kennen, wird er schon allein durch unsere Satzung wieder verhindert. Solche Verbindungen wie Stimoniaris hatte 1860 noch nie. Aber auch Norbert Oxee, Klaus Ruhdorfer oder Thomas Hirschberger sind Klasseleute. Das sind Leute mit Grips, Geld und noch dazu alle mit einem Herz für die Löwen.
Zuletzt noch eine persönliche Frage: Haben Sie sich endgültig in die Rente verabschiedet?
Ich bin in der Kommunalpolitik tätig, dazu habe ich drei Fördervereine gegründet. Sportlich interessiert mich noch die Erste Liga bis runter zur Regionalliga. Günther Gorenzel, der sportliche Leiter, hat mich vor einiger Zeit angerufen und gesagt, ob ich für 1860 scouten könne. Aber er hat mir gesagt, dass 1860 mir nicht einmal Fahrtkosten erstatten kann…