Das große Lorant-Interview: "1860 ist kein Turnverein, sondern ein Fußballklub!"
- VON OLIVER GRISS UND ULI WAGNER (Foto)
- 30.06.2019 07:36
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VON OLIVER GRISS UND ULI WAGNER (FOTO)
Werner Lorant (70) mus man nicht groß beschreiben. Er gilt beim TSV 1860 als lebende Legende. Was er mit dem Verein vollbracht hat, wird in den nächsten 100 Jahren möglicherweise nie wieder passieren. In den 90er Jahren führte der Kult-Trainer den Traditionsklub von der drittklassigen Bayernliga in den Europapokal. Deutschlandweit haben die Löwen mit Peter Nowak oder Thomas Häßler für positive Schlagzeilen gesorgt. Heute lebt Lorant im idyllischen Waging (Landkreis Traunstein) und beobachtet seine Löwen ganz genau. Sein Urteil fällt alles andere als positiv aus. Das exklusive db24-Interview mit Lorant:
dieblaue24: Herr Lorant, wie sehen Sie die aktuelle Entwicklung bei Ihrem Herzensverein 1860?
Es ist alles so traurig und schwierig mitanzusehen, was bei 1860 gerade passiert oder in den letzten zwei Jahren passiert ist. Es fängt mit der geringen Zuschauerzahl im Stadion an und hört mit der Mannschaft auf. Da hat man keine Lust, hinzugehen. Der Verein ist gespalten und keiner macht was. Die normalen Fans aus Waging oder Berchtesgaden, die bleiben doch mittlerweile daheim. Ich bekomme das bei meinen vielen Fanclub-Besuchen mit. Nur noch die Hartgesottenen fahren hoch zu Sechzig. Teilweise bekommen die Fanclubs ihre Busse nicht mehr voll, teilweise aus Desinteresse oder weil sie nicht so viele Karten für eine Busfahrt bekommen. Die Lethargie ist eingezogen. Die Begeisterung zum Spiel und zu Sechzig hat entscheidend nachgelassen. Eine ganz gefährliche Situation…”
Könnten Sie ein bisschen konkreter werden!
Naja, 1860 braucht erstmal eine andere Mannschaft für die Dritte Liga. Diese Liga ist nicht einfach zu spielen. Der Trainer braucht gute Spieler, um den Fans einen qualitativ guten Fußball bieten zu können. Anders funktioniert Fußball nicht. Aber was passiert bei 1860? Die Spieler gehen und es kommt kaum was nach. Ich bin sehr überrascht, dass Daniel Bierofka das über sich alles geräuschlos ergehen lässt. Jeder andere Trainer hätte hingeworfen. Er kann doch seinem eigentlichen Job gar nicht nachgehen und eine Mannschaft entwickeln. Was soll er denn da? Seine Arbeit ist umsonst. Mir kommt es so vor, als es diesen Leuten egal ist, in welcher Liga 1860 spielt. Sie wollen ein bisschen rumrumpeln. Das ist ein Trauerspiel! Ich hätte mir das nicht angetan und hingeworfen. Da gibt es keine zwei Meinungen. Bierofka macht sich doch nur seinen Namen bei 1860 kaputt…
Präsident Robert Reisinger hat aber im Winter den Konsolidierungskurs ausgerufen.
Der Mann hat keine Ahnung von Profifußball! Er benimmt sich wie ein kleines Kind. Wenn ich die Aussagen von Robert Reisinger analysiere, dann bekomme ich regelrecht Schüttelfrost. Als 1860 München kann es nicht das Ziel sein, in der Dritten Liga den Klassenerhalt auszugeben. Was ist das für ein Präsident? Das kann doch nicht wahr sein. Wenn man aufsteigt, muss man das Budget aufstocken und nicht runterfahren. Was dieser Mann von sich gibt, macht mich immer wieder fassungslos. Das Schlimme ist: Seine Gemeinde findet das Wirken auch noch gut, das ist ja das Schlimme. Die wissen alle gar nicht, was sie anrichten. Das hat nichts mehr mit dem TSV 1860 von früher zu tun. Die Führungsebene weiß offensichtlich nicht, wo dieser Verein früher gespielt hat, was er bewegt hat. Jetzt dürfen sie zum Glück noch Dritte Liga spielen. Aber das ist zu wenig. Auch die Zweite Liga ist zu wenig. Je besser du spielst, umso mehr interessieren sich für deinen Verein. Klingt doch logisch!
Heute auf der Mitgliederversammlung hätte der TSV 1860 die Chance den Neuanfang einzuläuten - doch dazu müssten die rund 17.100 stimmberechtigten Mitglieder nach München-Freimann pilgern.
Dazu müssten die Mitglieder auch zum Wählen gehen. Es müssen viele Mitglieder kommen. Deswegen kann ich nur alle motivieren: Lasst Euch diese Chance nicht entgehen, wenn ihr den Verein liebt und helfen wollt.
Zu Präsident Robert Reisinger haben Sie ein eher gespaltenes Verhältnis.
Ich kenne diesen Präsidenten nicht. Aber sein Verhalten in der Öffentlichkeit sagt alles aus.Vielleicht wird Reisinger auch gesteuert. Wie kann 1860 einen Präsidenten haben, der sich nicht mit der Mannschaft freut und es nicht hinbekommt, dem Trainer zum Klassenerhalt zu gratulieren? Ich weiß nicht, was Reisinger bei 1860 macht - aber so, wie er das macht, geht es jedenfalls nicht. Ich glaube, dass Reisinger die Politik wichtiger ist als die erste Fußball-Mannschaft. Und 1860 ist in erster Linie Fußball - und nicht Tischtennis, Kegeln oder Golf. Reisinger hat bei 1860 in zwei Jahren nichts zerrissen. Es ist nichts besser geworden. Als Herr Reisinger muss ich mich fragen: Was habe ich die letzten zwei Jahre bei 1860 gemacht? Wir reden nicht von zwei Monaten, sondern von zwei Jahren. Da führen andere Präsidenten ihren Verein von der Bayernliga bis in die Bundesliga…”
Für ihn spricht, dass der Verein mit über 24.000 Mitgliedern einen neuen Höchststand hat.
Da hat der Profifußball etwas davon? Das Lustige ist ja: Die Mitglieder kommen hauptsächlich wegen des Fußballs zum Verein. Die Beiträge gehen wo hin? Richtig, in die Amateursparten und den Jugendfußball. Was nützen dir Mitgliederrekorde, wenn ich keine Mannschaft habe? Die Mitglieder werden davonlaufen, wenn der Erfolg ausbleibt. Der TSV 1860 ist ein Fußballverein. Ob das zu Merkels oder zu meiner Zeit war: Der Fußball mobilisiert die Massen. Reisinger scheint das ja zu gefallen, sonst würde er ja auch nicht bei jedem Spiel auf der Tribüne sitzen und sich wichtig fühlen. Aber was sind seine Ziele?
Reisinger hat die Entscheidungen im Verein in den letzten Jahren alle mitgetragen: Erst als Verwaltungsrat, nun als Präsident. Nun führt er eine Politik der Nadelstiche gegen Mehrheitsgesellschafter Hasan Ismaik.
Wenn ich soviel Geld ausgeb und mich dann auch noch über Ismaik beschwere oder ärger, dann tut’s mir leid: Dann habe ich seine Millionen nicht richtig investiert. Ein Investor ist nicht dazu da, die Pläne vorzugeben, diesen Part hätte eigentlich der Verein übernehmen müssen. Aber wie soll das funktionieren, wenn leider nur Ahnungslose im Verein sitzen?
Einmal durfte Ismaik selbst gestalten - und dann stieg 1860 aus der Zweiten Liga ab.
Er wollte noch retten, was zu retten ist. Ich verstehe ihn, aber er hätte Menschen neben sich gebraucht, die 1860 und den deutschen Fußball verstehen. Der arme Kerl hat mir leid getan. Ismaik muss als Investor keine Ahnung von Fußball haben. Das ist nicht sein Kompetenzbereich. Ismaik wird bei 1860 für alles verantwortlich gemacht, weil er Geld gegeben hat? Dieser Umgang ist nicht fair, inakzeptabel und absolut krank.
In den letzten zwei Jahren hatte sich Ismaik rausgenommen.
Und trotzdem wird Ismaik beleidigt und bekämpft. Was sind das für Fans? Wenn ich so einen Mann habe, der so viel Geld und auch Kontakte besitzt, ich denke da nur an das Hauptsponsoring von Aston Martin, dann muss ich mit dem vernünftig umgehen. Ich hätte mir so einen Mann gewünscht. Reisinger hat es in zwei Jahren nicht geschafft, sich mit Ismaik an einen Tisch zu setzen. Soll das jetzt die nächsten drei Jahre so weitergehen? Dann sagte ich: Gute Nacht, Sechzig! Glauben Sie, dass Ismaik zu 1860 gekommen, um keinen Erfolg zu haben? Menschen wie Ismaik gehören gestreichelt.
Das große Problem für 1860 sind die fehlenden Einnahmen. Ins Grünwalder Stadion passen nur 15.000 Zuschauer.
Die Stadionproblematik muss endlich geklärt werden. Ich verstehe die Stadt München nicht. Sie muss endlich mal was für den Verein tun. 1860 braucht ein vernünftiges Stadion und mindestens Platz für 30.000 Zuschauer. 1860 kann aber auch mal schnell 60.000 Fans mobilisieren. Wenn der Sport gut ist, dann kommen auch die Fans. Warum haben früher 40.000 ins Stadion gepasst - und jetzt nur noch 15.000? Das ist doch peinlich für die Stadt. Und wenn sich die Anwohner immer aufregen, dann sollen die Bayern-Amateure in die Allianz Arena ausweichen. Die sollen spielen, wo sie wollen, aber nicht im Grünwalder Stadion…
1860 muss neben den Mietkosten für das Grünwalder Stadion und Cateringkosten für die Alm zusätzliche 500.000 Euro an den MVV zahlen…
Bitte was? Und das alles wegen dieser Ruine? Das glaube ich nicht! Das ist unfassbar. Wie kann ich als 1860 so einen Vertrag unterschreiben und dann noch ohne Rückoption für die Allianz Arena. Wer das alles zugelassen hat, den muss man nach Hause schicken. So kann man keinen Verein führen.