VON OLIVER GRISS UND BERND FEIL (FOTO)

1860-Idol Olaf Bodden, der aufgrund einer tückischen Krankheit seit Jahren an den Rollstuhl gefesselt ist, spricht im zweiten Tei des großen db24-Interviews über den Sport und die lähmende Politik bei den Löwen.

Neun Punkte vor der Abstiegszone, vier Punkte bis zu Platz drei. Herr Bodden, wie fällt Ihr globales Fazit mit dem Blick von außen über Drittligist 1860 aus?

OLAF BODDEN (53): Nicht so schön. Das ganze Dilemma hat angefangen, als wir aus der Zweiten Liga abgestiegen sind: Ein Jahr Amateurfußball, aus dem wir sofort wieder aufgestiegen sind. Und jetzt sind wir da angekommen, wo wir eigentlich nie sein sollten: Im Mittelmaß der Dritten Liga - auf Platz 10. Im Moment sehe ich keine Ambitionen nach oben. Und jetzt ist Daniel Bierofka weg, der eine riesige Identifikationsfigur für 1860 war. Rosig sieht es nicht aus für die Zukunft…

Wie bewerten Sie den Rückzug von Bierofka?

Das war die logische Konsquenz. Aus meiner Sicht hatte er, außer von Hasan Ismaik, keine Unterstützung von den Verantwortlichen - und scheinbar gab es mehr Diskrepanzen, als wir von außen mitbekommen haben. Irgendwann hatte Bierofka die Schnauze voll gehabt, dass er nicht mehr weitermachen wollte.

Mit ihm ging der letzte Ur-Löwe…

Dieser Abschied wiegt schwer, weil Daniel Bierofka sehr beliebt war. Auf Dauer sieht man, egal ob Meister-Mannschaft, 90er Löwen oder auch die Mannschaft, die beide Derbys gewann und am Ende Platz vier in der Bundesliga erreichte, dass Ehemaligen bei 1860 keine Träne nachgeweint wird - und jetzt ist mit Michael Köllner eben ein neuer Trainer da, mit dem man sich arrangieren muss. Mein Ersteindruck? Er macht’s nicht so schlecht. Er ist ungeschlagen. Das spricht für ihn.

Das vor der Saison ausgebene Ziel war der Klassenerhalt.

Die Frage ist: Kann man sich mit der Dritten Liga - im Grünwalder Stadion, in einer Ruine, zufrieden geben? Ohne Ambitionen nach oben? Ich glaube nicht, dass das die Fans auf Dauer ins Stadion locken kann, damit man jede zweite Woche ausverkauft ist.

Mit dieser amateurhaften Vereinsführung wird es niemals Bundesliga geben

Momentan wird die Situation noch toleriert…

Das ist ein Spiegelbild unserer Gesellschaft, die gespalten wie nie ist - und so ist das auch bei Sechzig. Es gibt Fans, denen es egal ist, ob wir Kreisliga oder Bundesliga spielen. Für die zählt nur das Grünwalder Stadion. Und es gibt natürlich andere, die wieder richtig professionellen Fußball sehen wollen: Am liebsten in der Ersten Liga mit Tendenzen nach oben. Ich positioniere mich deutlich: Ich will Bundesliga-Fußball sehen und zwar in einem vernünftigen Fußballstadion, so wie das heute üblich ist. Aber die Vereinsführung gehört, glaube ich, zur anderen Sorte. In letzter Konsequenz muss doch jedem klar sein, dass es mit dieser amateurhaften Vereinsführung in absehbarer Zeit niemals Bundesliga geben wird.

Starker Tobak. Woran machen Sie Ihre Kritik fest?

Ich sehe Aussagen oder Interviews - und beobachte auch, wie die Vereinsführung mit bestimmten Leuten umgeht. Und ich sehe vor allem auch keine Entwicklung: Wenn schon ein Hasan Ismaik einspringen muss, um einen Timo Gebhart oder ein Winter-Trainingslager in Spanien zu finanzieren, dann reicht mir das, um zu sehen, dass hier völlig Ahnungslose am Werk sind. Es braucht sich keiner zu wundern, dass große Sponsoren bei 1860 nicht einsteigen. Die wollen eine Entwicklung sehen. 1860 ist ein großer Traditionsverein, unsere Wurzeln liegen nicht in der Dritten Liga, sondern in der Bundesliga. Wir haben so eine große Fangemeinde: Wir müssen auf Dauer einfach wieder in der Ersten Liga spielen. Ich weiß gar nicht, wie man etwas anderes toll finden kann. Für mich ist das völlig unbegreiflich. Auch als Sportler will ich den größtmöglichen Erfolg haben - die Spieler von 1860 verdienen ordentlich, aber ihnen muss auch bewusst sein, dass das nicht bis zum Ende ihres Lebens reichen wird.

Was hat Sie bei 1860 im Jahr 2019 am meisten gestört?

Umfrage endete am 12.01.2020 08:00 Uhr
Das Nicht-Verhältnis zwischen beiden Gesellschaftern
28% (3099)
Das provozierte Aus von Trainer Bierofka
18% (1977)
Das Scheichlied & Schmäh-Plakate gegen den Mehrheitsgesellschafter
14% (1508)
Ismaiks Facebookseite
13% (1423)
Konsolidierungskurs - und der dazu fehlende Zukunftsplan für den Sport
13% (1395)
Reisingers PR-Auftritte (u.a. Blickpunkt Sport)
8% (827)
Kostenintensive Pyrotechnik bei 1860
3% (373)
Der Spenden-Aufruf für das Trainingslager
2% (222)
Die ständige Stadion-Diskussion
1% (116)

Teilnehmer: 10940

Der Verein wollte sich nach dem Zwangsabstieg von Mehrheitsgesellschafter Hasan Ismaik emanzipieren, was nicht wirklich gelungen ist. Wie sehen Sie dieses Verhältnis?

Wenn ich was zu sagen hätte, hätte ich das von Anfang an völlig anders gehandhabt. Ich hätte mich mit Ismaik und seinem Stab zusammengesetzt - und ich denke, dass wir heute in der Ersten Liga spielen würden. Das Problem in unserem Verein war, dass viele, die installiert wurden, sich selbst und nicht den Verein bereichert haben. Das finde ich sehr traurig.

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Immerhin hat Vize-Präsident Hans Sitzberger vom Streiten offenbar genug und sprach an Weihnachten davon, dass “gemeinsam doch am meisten Spass macht”. Glauben Sie an einen Kurswechsel der Vereinsführung?

Das wäre wünschenswert und ich hoffe, dass Sitzberger seine Aussage auch ernst gemeint hat. Nur zusammen kann man 1860 wieder groß machen. Dass der e.V. es nicht alleine schafft, sieht man ja seit zweieinhalb Jahren in aller Deutlichkeit…

Warum arbeiten bei 1860 keine verdienten Ehemaligen?

Das frage ich mich auch immer. Ich kann mich noch gut erinnern, wie Martin Max Vize-Präsident werden sollte, dann aber aufgrund von Eitelkeiten doch verhindert worden ist.

Wenn ich was zu sagen hätte, wäre Peter Nowak auf meiner Liste

Gibt es einen, den Sie gerne wieder bei den Löwen sehen würden?

Ja, klar: Peter Nowak. Er war in den 90er Jahren der beste Fußballer, den 1860 hatte. Vielleicht war es sogar der beste Fußballer, der jemals bei uns gespielt hat. Er hat nach seiner aktiven Karriere weiter im Sport gearbeitet. Wenn ich was zu sagen hätte, wäre Peter ganz oben auf meiner Liste, ihn bei 1860 einzubauen. Er weiß, wie Fußball funktioniert. Man braucht einen, der den Verein von unten völlig neu aufbaut. Dazu gehört auch, dass die Jugend wieder den Glanz bekommt, den sie verdient hat. Wir brauchen auch ein gut funktionierendes Scoutingsystem. Aber dazu braucht man Geld - und Ismaik im Boot. Das wird eine Mammutaufgabe.

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Möglicherweise werden Sie für Ihr Interview in den sozialen Medien wieder Kritik ernten - so nach dem Motto: “Was will denn der Bodden? Der hat doch keine Ahnung…”

Zum Glück sind wir immer noch in einem Land der freien Meinungsäußerung. Noch. Man kann gerne sagen: “Der Bodden hat keine Ahnung!” Ich habe den Vorteil, dass ich als junger Kerl aus dem Dorf gekommen bin. Ich hab’s bis in die Bundesliga geschafft - und ich habe vor meiner Karriere eine Ausbildung als Einzelhandelskaufmann gemacht und sogar mit meinem Vater ein Jahr eine Firma geführt. Damit habe ich auch wirtschaftliche Kompetenz, und ich denke auch, dass ich Ahnung von Fußball habe. Das zusammen befugt mich, ein Interview über Fußball zu führen (lacht). Wenn man heute eine andere Meinung hat, ist man leider senil, alt oder ein kranker Mensch. Jeder, der heutzutage eine Meinung hat, muss leider mit einem Shitstorm rechnen.