VON OLIVER GRISS

Eine Botschaft schicke ich vorweg: Ich liebe das Grünwalder Stadion. Seine Tradition und die Erinnerungen an große Fußballfeste: An das 6:1 gegen die SpVgg Fürth am Gründonnerstag im Jahre 1984 mit Wiggerl Kögl und Jürgen Korus, das emotionale 3:3 am 11. Mai 1990 gegen Schweinfurt vor inoffiziellen 40.000 (!) Zuschauern - oder das 4:1 gegen den VfL Bochum im September 1994. Bei all diesen Highlights war ich auf Giesings Höhen. Erst als Fan, später als junger Reporter hinter dem Tor der Westkurve. Das waren geniale Momente, die für die Ewigkeit bleiben.

Über all die Jahrzehnte hat sich jedoch viel getan. Zum einen hat sich die Fankultur gravierend verändert (was sich auch auf die Akustik deutlich auswirkt), zum anderen wurde das Grünwalder Stadion kaputt saniert. Daran ist der TSV 1860 komplett unschuldig, denn es war ausschließlich die Stadt München dafür verantwortlich, dass von der einstigen Herz-Schmerz-Kultstätte nur noch wenig geblieben ist.

Jetzt spricht man wieder über einen Umbau (von 15.000 auf 18.105 Plätze, Preisidee 32 Millionen Euro), der nicht nur für die Stadt München angesichts der vielen Probleme in der Landeshauptstadt ein finanzieller Drahtseilakt wird, sondern auch dem TSV 1860 wirtschaftlich nicht viel bringen wird - und genau das irritiert den gemeinen Löwen-Fan, warum die Vereinsspitze dies ohne Murren akzeptiert. Gilt bei 1860 das Motto “einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul?” Die Miete wird definitiv steigen - und das nicht zu knapp. Schon jetzt hilft ein ausverkauftes Grünwalder Stadion nicht, die schwarze Null zu erreichen - wohlgemerkt als Drittligist. Was ich betonen will: Das “Sechzger” mit einem Fassungsvermögen von 25.000 bis 30.000 Plätzen würde ich sofort unterschreiben.

Deswegen muss man die fehlende Weitsicht bei 1860 (wieder einmal) anmahnen. Was, wenn der TSV 1860 in ein paar Jahren plötzlich doch ans Tor zur Ersten Liga anklopft? Dass Präsident Robert Reisinger sagt, man müsse sich in diesem Fall dann neu orientieren, ist strategisch gesehen jedenfalls äußerst zweifelhaft.

Nein, ich bin nicht größenwahnsinnig, aber der Anspruch einer der größten deutschen Traditionsvereine muss es sein, wieder irgendwann erstklassig zu spielen. Darauf muss 1860 ausgerichtet sein oder werden - und nichts anderes. 1860 ist nicht dafür verantwortlich, den umliegenden Kneipen Umsatzrekorde zu bescheren, sondern sollte in erster Linie an sich selbst und den Großteil seiner Fans denken. 1860 hat noch immer eine riesengroße Fangemeinde, die es gilt zu bedienen. Der Verein darf sich nicht selbst limitieren, sondern muss sich nach vorne entwickeln - mit einer professionellen Strategie im Sport und Finanzwesen.

Ergo: 1860 muss auf den Fußball ausgerichtet - und nicht auf ein Stadion zugeschneidert werden. Das sollten Reisinger & Co. verinnerlichen, wollen sie alle Fans mit ins Boot nehmen.

Oliver Griss (Baujahr 1971) schreibt seit 1989 über die Löwen. 2011 gründete er das Portal db24.