VON OLIVER GRISS UND BERND FEIL (FOTO)

Bislang hat 1860-Präsident Robert Reisinger nur gegenüber dem “Wochenanzeiger” angekündigt, dass die für Juli geplante Mitgliederversammlung in der Coronal-Krise auf Oktober verschoben wird. Die Mitglieder lässt der Ober-Löwe aber weiter im unklaren: Weder über die Vereins-Webseite, noch über einen Newsletter sind die Mitglieder bislang informiert worden, dass die MV verschoben werde.

Dass Reisinger in dieser schwierigen Zeit, in der ein Verbot für Großveranstaltungen gilt, nicht zu einer Online-MV switcht, begründet der Unternehmensberater aus Kirchheim dem “Wochenanzeiger” so: “Das wäre für uns als Veranstalter von der Technik her bei potentiell 23.000 Teilnehmern uferlos teuer und würde alle Mitglieder ausschließen, die nicht über entsprechende Kenntnisse verfügen. In Bayern gibt es nicht mal in allen Gegenden schnelles Internet für Handel und Gewerbe, geschweige denn für Privathaushalte.”

Diese Aussagen hat Anna-Maria Palzkill, Marketing- und Kommunikationschefin des führenden deutschen Onlinewahl-Anbieters Polyas, entkräftet. Die Berliner Firma verspricht auf ihrer Webseite zudem eine Steigerung der Wahlbeteiligung, Senkung der Wahlkosten und mit dem zertifizierten Online-Wahlsystem das absolute Wahlgeheimnis der Wähler. “Unsere Vision ist”, so Palzkill gegenüber dem Löwen-Podcast “Radis Erben”, “den Zugang zur Demokratie zu vereinfachen und die besten und sichersten Technologien zur Verfügung zu stellen, dass jeder Mensch in der Lage ist, seine Stimme abzugeben und an Entscheidungsprozessen teilzuhaben. Darunter machen wir es nicht…”

Beim TSV 1860 gibt es von 23.000 Mitgliedern rund 17.500 Wahlberechtigte. Die Versammlungen besucht aber nur ein Bruchteil - aus unterschiedlichsten Gründen: Viele Löwen-Mitglieder wohnen nicht in nächster Nähe oder haben nicht mehr die Kraft und Lust, eine Marathonveranstaltung über mehrere Stunden in einer dunklen Halle zu besuchen. Wer beispielsweise als Löwen-Mitglied im Westen wohnt, muss mehrere 100 Euro berappen, um bei der MV dabei zu sein. Auch zu Anfeindungen innerhalb der MV soll es gekommen sein, wenn einer die falsche Stimmkarte gezückt hat.

Würden Sie eine Online- und Briefwahl bei 1860 für Entscheidungen auf Mitgliederversammlungen begrüßen?

Umfrage endete am 16.05.2020 11:00 Uhr
Ja! Auch 1860 sollte mit der Zeit gehen!
86% (2679)
Nein!
14% (454)

Teilnehmer: 3133

Palzkill verspricht: “Mit unserer Software kann sich jeder sicher sein, dass sein Wahlgeheimnis gewahrt bleibt und er kann ganz sicher seine ehrliche Meinung sagen.” Anders als Reisinger vorgibt, wird bei einer Online-Wahl keiner ausgeschlossen, zumal es dann immer noch die Möglichkeit gäbe, die Option “Briefwahl” zuzulassen. Palzkill: “Wer einmal online wählt, geht nicht zurück zum Papier.”

Laut Pazkill könne jedes Mitglied an einer digitalen Wahl teilnehmen, das ein browserfähiges Handy besitze. “Man muss kein Diplom im Thema Internet haben - das ist eine ganz wichtige Botschaft”, erklärt die Expertin aus Berlin: “Internetfähig sind heutzutage schon Kühlschränke und Uhren - was sie brauchen, ist ein Bildschirm und ein Browser.” Beim Karlsruher SC entscheiden im Mitte Mai die Mitglieder digital, ob der Verein die Insolvenz anmelden soll oder nicht. Auch Hertha BSC führt seine MV online durch.

Wer das komplette Interview mit Onlinewahl-Expertin Palzkill anhören will, dem empfehlen wir den Besuch bei “Radis Erben”.