Der Löwe brüllt nicht mehr
- VON OLIVER GRISS UND BERND FEIL (Foto)
- 24.03.2021 09:59
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VON OLIVER GRISS UND BERND FEIL (FOTO)
Stefan Schneider war in den vergangenen 28 Jahren mehr als nur ein Stadionsprecher für 1860…
Er war der Premiumverkäufer der Marke 1860, eine geile Marketing-Maschine par excellance (“Ich geh nicht zu einer Domina, sondern zu 1860 München”), ein Top-Botschafter und die beste Stimme der Stadt sowieso. Schon, als er in den frühen 90er Jahren für “Radio Energy” Jung und Alt begeisterte und es an Weihnachten trotz 15 Plusgraden auf dem Marienplatz schneien hat lassen. Das waren unvergessene PR-Aktionen, die für den Namen Schneider stehen.
Als gebürtiger Schwabinger vermittelte er das Lebensgefühl der Löwen am besten, er pflegte über Jahrzehnte den Kontakt zu Premiumsponsor Hacker-Pschorr, er hat beste Kontakte ins Rathaus - und bespielte den TSV immer wieder mit unzähligen Ideen. Schneider steht für Kreativität, Leidenschaft, für Emotionen - und für Herzblut. So einer ist eigentlich unbezahlbar, zumal er in den letzten zehn Jahren bekannter als fast jeder Löwen-Spieler war.
Kurzum: Er war bei 1860 in diesen tristen sportlichen Zeiten der einzige mit Bundesliga-Niveau - bis zu diesem Montag, als er seinen unwiderruflichen Rücktritt bekannt gegeben hat. Für solche Typen geben andere Fußballvereine viel Geld aus. Schneider, immer in Jeans und Turnschuhen unterwegs, verzichtete in der Corona-Zeit auf seine Gage. Auch das war Schneider. Er stand bis zuletzt noch exemplarisch für eine bessere Zeit beim TSV 1860.
Dass Naturtalent Schneider im Jahr 2000 wieder zum TSV 1860 zurückkehrte (Sat1-Moderator Ralf Exel war auf Wunsch des Stadion-TV-Partners in der Erfolgssaison 1999/2000 die Löwen-Stimme), hatte auch ein wenig mit mir zu tun: Als damaliger AZ-Reporter enthüllte ich, dass Schneiders Nachfolger Exel ein Roter ist. Als diese Story auf dem Zeitungskasten klebte, brach ein Shitstorm über den TSV ein, und so konnte Schneider sein schnelles Löwen-Comeback feiern. Zur Freude der Löwen-Gemeinde.
Auch deswegen sind wir immer freundschaftlich verbunden geblieben. An eine gemeinsame Aktion kann ich mich bis heute gut erinnern: In der Bundesliga-Abstiegssaison 2003/2004 organisierte ich mit meinem damaligen AZ-Sportchef Gunnar Jans die 1860-Party “Rettet die Löwen” mit ausgewählten Gästen, u.a. mit OB Christian Ude und allen Meisterlöwen um Petar Radenkovic und Peter Grosser. Ernst Prost, Chef des damaligen Hauptsponsors Liqui Moly, überredete ich, 10.000 (!) Tickets für den Abstiegshit gegen Hertha BSC (1:1) im Olympiastadion zu kaufen. Es wurden T-Shirts produziert - natürlich alles in enger Absprache mit Schneider, schließlich verlieh er den Löwen seine einzigartige Stimme.
Oder die Aktion mit der Gangway vom Flughafen im Olympiastadion (Jubel-Plattform von der Nordkurve) - auch sie stammt aus Schneiders Löwen-Gehirn. Schneider konnte aber mit seiner Stimme auch die aufgebrachten Fans beruhigen - wie beim Relegationsdrama 2017 gegen Jahn Regensburg. Oder mit ihnen feiern, wie 2015 beim Relegationskrimi gegen Holstein Kiel, als er sich nach dem Schlusspfiff auf den Rasen warf.
Das, was Schneider mitgebracht hat, kann man nicht lernen, aber auch nicht studieren. Das hat man - oder eben nicht. Der Job der besten Fußball-Stimme Münchens muss jetzt neu vergeben werden. Der Löwe brüllt nicht mehr. 1860 ist nicht zu beneiden.
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