"Dreist und zynisch": Freunde des Sechzger Stadions kontra Stadt München
- VON OLIVER GRISS UND IMAGO (Foto)
- 30.07.2021 07:58
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VON OLIVER GRISS UND IMAGO (FOTO)
Der TSV 1860 ist abhängig von einem guten Verhältnis zur Stadt München - schon allein wegen der Stadion-Geschichte ums altehrwürdige Grünwalder.
Doch nachdem der Stadtrat die neue (und schärfere) Stadionverordnung nun durchdrückte, könnten in der Zusammenarbeit bald dunkle Wolken aufziehen, denn die Stadionfreunde des TSV 1860 attackieren die Stadt mit scharfen Worten. Martin Scherbel, Vorstand der Freunde des Sechzger Stadions, erklärt nach dem Relaunch der Spielregeln rund ums Grünwalder: “Diese Änderungen wegen ein paar geringfügiger Zugeständnisse des KVR jetzt als akzeptablen Kompromiss zu verkaufen, ist dreist und zynisch.“ Kurios: Bürgermeisterin Verena Dietl, die für ihr Herz für die Stadionfreunde bekannt ist und unlängst von einem Kompromiss gesprochen hat, wird indirekt scharf attackiert.
Ob solche Statements förderlich sind für die Planspiele der Löwen?
Das Schreiben der FDS im Wortlaut:
In den Sitzungen des Kreisverwaltungsausschusses am 27.7.2021 und des Stadtrats am 28.7.2021 beschlossen beide Gremien umfangreiche Änderungen der Grünwalder Stadionverordnung.
Die Chance, eine schlampig formulierte, handwerklich schlecht gemachte und vor inhaltlichen Unzulänglichkeiten strotzende Verordnung in eine vernünftige und brauchbare Form zu bringen, wurde dabei trotz anderslautender Zusagen der beiden größten im Kreisverwaltungsausschuss vertretenen Fraktionen vertan. Stattdessen wurde der zeitliche und räumliche Geltungsbereich der Verordnung massiv ausgeweitet und zusätzliche Verbotstatbestände mit aufgenommen. Dass die ursprüngliche Beschlussvorlage des KVR vom Juni 2020 in wenigen Punkte modifiziert wurde, fällt da kaum ins Gewicht.
Uns erschließen sich weder Sinnhaftigkeit noch Notwendigkeit dieser Verschärfung, deren teils erhebliche Auswirkungen sicher nicht allen bewusst sind:
– Die Stadionverordnung ist nicht auf Fußballspiele beschränkt; Regeln, die bisher nur für Fußball-Risikospiele galten, können künftig also auch bei „fußballfernen“ Events wie dem Adventssingen oder Veranstaltungen in der Stadionwirtschaft (Podiumsdiskussionen, Konzerte, Feiern etc.) Anwendung finden – natürlich im gesamten räumlichen Geltungsbereich zwischen Tegernseer Platz, Candidplatz und Wettersteinplatz;
– inhaltliche und handwerkliche Fehler bleiben genauso bestehen wie die bewusst schwammigen Formulierungen, die der Polizei willkürliche Maßnahmen gegen Zuschauer:innen überhaupt erst ermöglichen bzw. deutlich erleichtern;
Münchner Stadtrat segnet ab: Haben Sie ein Problem mit der neuen Stadionverordnung?
Teilnehmer: 1834
– die bestehenden gesetzlichen Grundlagen für polizeiliches Handeln (StGB, PAG, StPO, BayVersG) sind mehr als ausreichend; laut Stellungnahme der Polizei (Sitzungsvorlagen Nr. 14-20 / V 06219) wurden fast alle Verstöße gegen die Stadionverordnung am Rande vergangener Amateure-Derbys als sog. Zweitdelikte angezeigt; die Stadionverordnung wird also primär dafür genutzt, mutmaßliche Verstöße doppelt zu bestrafen, was künftig noch leichter möglich sein wird;
Martin Scherbel, 1. Vorstand der Freunde des Sechz’ger Stadions e.V., kritisiert unter anderem die fragwürdige Argumentation von KVR und Polizei: „Seit der Rückkehr der Profis des TSV 1860 München ins Stadion an der Grünwalder Straße betonen Vertreter des Polizeipräsidiums bei jeder sich bietenden Gelegenheit das vorbildliche Verhalten der Löwenfans. Wenn diese positiven Erfahrungen dann aber zusätzliche Repressalien und eine stetig wachsende Kriminalisierung von Zuschauer:innen zur Folge haben, möchte ich mir nicht vorstellen, auf welche Ideen die Sicherheitsbehörden bei einem anderen Fanverhalten kommen könnten.“ Gutes Benehmen wird also nicht belohnt, sondern bestraft und die seit Jahren bewährte, engagierte und sehr erfolgreiche Sozialarbeit des Fanprojekts München diskreditiert und beschädigt. Welche sicherheitsrelevanten Vorteile das bringen sollen, ist für uns nicht ansatzweise erkennbar. Sämtliche Fassungen der Stadionverordnung in den letzten Jahren waren fehlerhaft und schlecht gemacht. Seit vielen Jahren gibt es im Grünwalder Stadion faktisch ein grundsätzliches Alkoholverbot für alle Veranstaltungen, obwohl diese Regelung weder gewollt war noch jemals beachtet oder Verstöße geahndet wurden. Solche Unzulänglichkeiten zu beseitigen und eine brauchbare Stadionverordnung zu erstellen, wäre zielführend und auch im Interesse der Fans gewesen“, so Scherbel weiter. „Uns war bewusst, dass einige Parteien der Vorlage ohnehin kritiklos zustimmen würden. Daher waren wir sehr dankbar, dass uns zusammen mit Fanprojekt, Löwenfans gegen rechts, Sechzig im Sechzger und anderen Fanvertretern mehrmals die Möglichkeit gegeben wurde, unsere Bedenken und Kritikpunkte Mitgliedern der Fraktionen Die Grünen/Rosa Liste und SPD/Volt erläutern und detailliert begründen zu dürfen. Umso größer ist die Enttäuschung, dass beide Fraktionen der Beschlussvorlage zugestimmt haben – trotz des geäußerten Verständnisses für unsere Bedenken und gegenteiliger Zusagen.“
Im Vergleich zur stark kritisierten ursprünglichen Beschlussvorlage vom Juni 2020 wurde der zeitliche Geltungsbereich der Verordnung sogar noch erweitert und umfasst jetzt zusätzlich Spiele von Jugend- und Frauenteams. Die neu hinzugekommene Definition des Begriffs Fanmarsch lässt sich willkürlich auf fast alle Gruppen von Zuschauer:innen im Stadionumfeld anwenden. „Diese Änderungen wegen ein paar geringfügiger Zugeständnisse des KVR jetzt als akzeptablen Kompromiss zu verkaufen, ist dreist und zynisch.“, so Scherbel.
Im Kreisverwaltungsausschuss stimmte einzig Marie Burneleit (Fraktion „DIE LINKE./Die PARTEI“) gegen die Vorlage, in der Vollversammlung alle Mitglieder ihrer Fraktion.
Wir sind ernüchtert und enttäuscht, dass die Vermeidung möglicher Konflikte mit KVR und Polizei für die große Mehrheit des Münchner Stadtrats deutlich höhere Priorität genießt, als der Einsatz für die Rechte und Interessen der Bürger:innen.