VON OLIVER GRISS

Gleich mal vorweg: Das Grünwalder Stadion bedeutet für mich Kindheit, aber auch legendäre Erinnerungen an unfassbare Spiele: Gründonnerstag 1984, 6:1 gegen die SpVgg Fürth. Mai 1990: 3:3 gegen Schweinfurt - aber auch die Gala beim 4:1 im September 1993 gegen Bochum. Oder die beiden Aufstiegsfeiern gegen Borussia Neunkirchen (1991) oder Ulm (1993). Das waren Fußball-Feste, die vor allem bei uns Älteren Erinnerungen wecken. Das waren Erlebnisse für die Ewigkeit - wie mein erster Besuch auf der Berliner Loveparade 1989. Ekstase pur.

Und alle fünf Ereignisse hatten eines gemeinsam: Die Kultstätte platzte aus allen Nähten. Gegen Schweinfurt, bei diesem dramatischen Bayernliga-Krimi um Platz 1, waren’s sogar fast 40.000 (!) Fans, weil der Klub einen erheblichen Teil der Tickets doppelt verkauft hatte. Auch wenn am Ende Tränen floßen, dieses Spiel hätte ich jedem jungen Fan von heute gegönnt, um einen Vergleich zum Grünwalder 2021 zu haben. Und die Alten, die auch heute noch für Giesing schwärmen, verbinden ihre Jugend mit dem Grünwalder. Verständlich. Das ist in etwa so, wenn man seiner ersten große Liebe plötzlich wieder gegenüber steht, feuchte Augen bekommt und in Nostalgie schwelgt. Doch schnell ist der Sekundentraum vorbei, die Realität ist leider anders.

In welcher Liga sollte 1860 spielen?

Umfrage endete am 10.01.2022 20:00 Uhr
1. Liga
60% (1967)
2. Liga
27% (891)
Mir egal - Hauptsache Giesing!
8% (247)
Regionalliga Bayern
4% (120)
Dritte Liga
2% (63)

Teilnehmer: 3288

Und weil Fußball längst ein Millionen-Geschäft ist, hat unsere Fußball-Liebe 1860 keine Zukunft im Grünwalder Stadion. Selbst Martin Gräfer, der Vorstand der Bayerischen, sagte jetzt im “Merkur”-Interview: “1860 braucht als Perspektive ein Stadion, mit dem man mehr Geld verdienen kann als mit dem Grünwalder in seinem aktuellen Zustand.” Dann erklärt der gebürtige Rheinländer aber auch, wohlwissend, dass die aktuelle 1860-Führung “Ein Herz für Giesing” hat: “Wenn kein neues Stadion gebaut werden kann, dann benötigt der Klub einen Umbau, der auch die Vermarktbarkeit erhöht, sprich: VIP-Bereiche mit entsprechenden Bewirtungs-Möglichkeiten. Man muss gemeinsam mit der Stadt an einen Tisch kommen und eine Lösung finden. München hat als Aushängeschild nicht nur den Verein, der weltweit bekannt ist, sondern auch den TSV 1860, der wie kein zweiter für die Stadt steht. Es braucht einen fairen Deal.” Und selbst dann würde der Löwe nicht auf Profiebene - ohne fremde Hilfe - überleben können. Um alles auszuschöpfen, bräuchte 1860 neben den Zuschauer-Einnahmen auch die Namensrechte fürs Stadion, die komplette Vermarktung und natürlich auch die Catering-Einnahmen. Doch ist das realistisch?

Seit mehr als 25 Jahren belastet die Stadion-Frage den TSV 1860. Wann immer der Löwe in einem anderen Stadion gebrüllt hat, wurde von einer überschaubaren Gruppe Politik für Giesing gemacht, selbst im Champions League-Qualifikationsspiel gegen Leeds United vor 56.000 Fans im Olympiastadion. Kult-Präsident Karl-Heinz Wildmoser, der den Verein von der Bayernliga bis in den Europapokal führte, sah sich zu einer erfolgreichen sportlichen Zeit mit einer ständigen Hetzjagd konfrontiert. Der Sport? Sekundär! Das sogenannte Heimatgefühl ist wichtiger. Gewinner sind nur die Kneipen und Geschäfte im Stadtteil Giesing. Aber bringt das die Löwen wieder nach oben?

Die Löwen werden am Giesinger Standort gegenüber der Konkurrenz immer einen finanziellen Wettbewerbsnachteil haben, weil die Stadion-Kapazität leider auf 18.105 Plätze (aktuell 15.000!) beschränkt ist. Selbst das große Vorbild von Präsident Robert Reisinger, der SC Freiburg, hat sein altes schnuckliges Dreisamstadion verlassen, um seinen Fans in der Europapark-Arena mehr Komfort und Plätze zu bieten. Aber in erster Linie, um mehr Geld zu verdienen und auf Dauer konkurrenzfähig zu bleiben.

Und wie wir alle wissen: Das Geld ist bei 1860 seit Jahren knapp. Nur mit einer Finanzspritze von Hauptsponsor “Die Bayerische” war in den letzten zwei Spielzeiten jeweils ein Etat von fünf Millionen Euro möglich. Ab Sommer wird das möglicherweise wieder ganz anders aussehen. Umso wichtiger ist es jetzt, endlich die Weichen für eine erfolgreiche Zukunft des TSV 1860 stellen, im Interesse des Profifußballs. Die Löwen brauchen endlich Klarheit.

Doch wer übernimmt die Schlüsselrolle bei 1860, um mit der Stadt in konkrete Verhandlungen zu treten? Noch hat sich keiner herauskristallisiert, was natürlich auch das Handicap auf Seiten der Löwen zeigt.