VON OLIVER GRISS UND ZUMA WIRE (IMAGO)

Von einem “guter Tag für den Münchner Fußball” hatte Sport-Bürgermeisterin Verena Dietl zuletzt vollmundig gesprochen, nachdem der Stadtrat beschlossen hatte, das Grünwalder Stadion für über 77 Millionen Euro sanieren zu wollen. Dietl, die selbst eine bekennende Giesingerin ist, hatte möglicherweise gedacht, dass man nach ihrer Botschaft Luftsprünge im Löwen-Lager macht. Vielleicht vorne am Grünspitz - das kann sein, aber mit Sicherheit nicht im dritten Stock der Grünwalder Straße 114.

Weil mit Marc Pfeifer inzwischen ein Funktionär mit wirtschaftlicher Vernunft und sportlichem Weitblick am Schaltpult des TSV 1860 sitzt, kam nur wenige Stunden später eine Pressemitteilung aus der Fußball-Firma, die nicht besser hätte forumliert sein können. Die Löwen machten in ihrem wohl überlegten Statement mehr als deutlich, dass sie kein langfristiges “Kommitment” eingehen können, wenn dies mit den Lizenzierungsbedingungen für den großen Fußball nicht zu vereinbaren ist. Und Tatsache ist nunmal: Würde der TSV 1860 einen langfristigen Mietvertrag mit der Stadt München zustimmen, würde dies im Umkehrschluß bedeuten: Nie wieder Bundesliga, Sechzig!

Bei 1860 wird endlich wieder gerechnet - und vor allem wurden gleichzeitig auch die Giesinger Augenklappen abgelegt, die seit Jahrzehnten den Fortschritt bei Münchens großer Liebe verhindern. Würde Pfeifer diesen Langzeitmietvertrag ohne Ausstiegsoption mit der Stadt trotzdem unterschreiben, würde er geschäftsschädigend agieren - und das kann und will der Schwabe sich nicht nachsagen lassen. Schon jetzt feilscht er mit der Stadt um die aktuelle Miete: 1860 hat im Liga-Vergleich rund 1,5 Millionen Euro weniger Erlöse aus dem Bilanzpunkt Stadion als die Mitstreiter zur Verfügung: Vermarktung, Catering und Namensrechte am Stadion sind die Stichwörter. Und bei einem Ausbau wird der Mietzins deutlich steigen - soviel ist sicher.

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Die Reaktionen der Stadt auf die Löwen-Absage sind amüsant bis höchst verwunderlich. Grünen-Politiker Beppo Brem kritisierte beispielsweise gegenüber der “SZ” das Verhalten der Löwen. Der Stadtrat habe aus Brems Sicht “alle Türen aufgemacht und alle Optionen auf den Tisch gelegt. Der TSV 1860 hat eher Türen zugeschlagen, als dass er die Hand gereicht hätte.” Und SPD-Kollegin Kathrin Abele wunderte sich nicht nur über den Inhalt, sondern auch über den Duktus des Schreibens: “Das ist nicht der Ton, in dem man gerne miteinander spricht.” Typisches Politiker-Gerede.

Übersetzt heißt das: Die Stadt will jetzt den Löwen den schwarzen Peter zuschieben, falls das seit Jahren köchelnde Stadion-Projekt final eingestampft wird. Doch dabei ist die Situation klar: Jeder ambitionierte Geschäftsmann - und dazu braucht es kein abgeschlossenes BWL-Studium - würde diesen Knebelvertrag mit der Stadt niemals unterschreiben. Warum auch? Dass Pfeifer die Finanzierung (Mietkosten) und Abhängigkeit (Dauer des Mietvertrags) hinterfragt, ist seine Pflicht als Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens. Schließlich ist er Kaufmann, der den TSV 1860 zukunftsfähig aufstellen muss und letzten Endes auch in der Haftung steht.

Nach Bau-Signal fürs Grünwalder: Hat 1860 richtig reagiert?

Umfrage endete am 21.04.2022 17:00 Uhr
Ja, zu 100 Prozent!
94% (2645)
Nein!
6% (157)

Teilnehmer: 2802

Zur Erinnerung: Die Löwen haben sich mit (vor)schnellen Vertragsabschlüssen immer wieder eine blutige Nase geholt. Siehe Umzug ins Grünwalder 2017, als Markus Fauser als Interims-Geschäftsführer den Löwen einen Stadionvertrag präsentierte, der dem Traditionsverein zwar Heimatgefühle bringt, aber bis dato auch viele finanzielle Nachteile.

Dass Sport-Bürgermeisterin Dietl via “AZ” den Kompromissvorschlag machte, dass im Bundesliga-Aufstiegsfall als Alternative die zweite Mannschaft des TSV 1860 im Grünwalder Stadion spielen könne, zeigt, dass die Stadtpolitiker nicht verstanden haben, worum es den Löwen eigentlich geht. Der TSV braucht Fairness, aber vor allem auch eine wirtschaftliche und sportliche Perspektive.

Was nun, Frau Dietl?