VON OLIVER GRISS

Im neuesten Facebook-Post von 60-Prozent-Löwe Hasan Ismaik ist ein Hinweis versteckt, der das ganze Dilemma beim Traditionsklub sehr gut beschreibt: “Sie müssen wissen, dass Herr Reisinger im Aufsichtsrat meist die Anwälte sprechen lässt.”

Sollte dies zutreffen, dass sich der Ober-Löwe in diesem elitären Kreis meist in Zurückhaltung übt und am Tisch oder in der Videokonferenz für den Verein in der Regel 1860-Allzeit-Jurist Guido Kambli, dem früheren Wildmoser-Intimus, sprechen lässt, zeigt das ganz deutlich die Schwächen des Drittligisten auf. Für eine gute, offene und zielgerichtete Kommunikation ist prinzpiell der oberste Repräsentant des Klubs verantwortlich. Und der Präsident bei 1860 heißt seit knapp sechs Jahren Reisinger.

Neben dem pasionierten Hobby-Golfer sitzen für die Vereinsseite Sebastian Seeböck und dem renommierten Wirtschaftsprüfer Karl-Christian Bay in diesem Gremium, für HAM wurden Yahya Ismaik, Andrew Livingston und Saki Stimoniaris entsandt. Zudem wird die Ismaik-Seite vom Hamburger Anwalt Dr. Frank Koch beraten.

Schnell wird deutlich: Bei 1860 dürfen sich eigentlich nur die Anwälte über ihre Tagessätze und die anschliessend abzurechnende Korrespondenz freuen. Die Advokaten gewinnen an der Grünwalder Straße 114 eigentlich immer. Der Klub dagegen leidet. Alles nicht zielführend für die Entwicklung des Klubs, der sich in einer traurigen Endlos-Schleife befindet.

Ismaik hatte nach seinem Ausstieg vor Jahren aus dem Aufsichtsrat bewusst auf Stimoniaris gesetzt, dem von der Fankurve schnell ein Plakat “spendiert” worden ist, freilich mit ablehnender Haltung. Ausdrücklich soll der Jordanier intern auch darauf hingewiesen haben, dass der 52-jährige Münchner, der bei zahlreichen Unternehmen wie VW, Rheinmetall und Traton schon im Aufsichtsrat saß und damit mit wirtschaftlichen Fragen bestens vertraut ist, seine Stimme in München sein soll. Das Angebot soll von e.V.-Seite aber nur in den seltesten Fällen genutzt worden sein. Beim Stadion-Gipfel im Rathaus vertrat Stimoniaris beispielsweise die HAM-Seite. Wenn´s um Grünwalder geht, dann schrillen die Alarmglocken, weil seit Jahrzehnten jeder außerhalb des traditionsreichen Stadtteils weiß: 1860 kommt auf Giesings Höhen finanziell nicht auf den grünen Zweig.

Und natürlich war es nach dem Zwangsabstieg in die Regionalliga Bayern belastend für die innerbetriebliche Beziehung, dass man auf e.V.-Seite nachweislich von einer “Nadelstichpolitik gegen Ismaik” geschrieben und anschließend über die Kündigung des Kooperationsvertrags gesprochen hat. Auch wenig durchdacht war von Reisinger, dass er kurz nach seinem Einstieg in seiner Rolle als Ober-Löwe kommuniziert hatte, dass es momentan keinen Gesprächsbedarf mit Ismaik gebe, anstatt mit Ismaik offen und ehrlich sofort in den Dialog zu treten. Zur Erinnerung: Vize Hans Sitzberger meinte sogar damals, dass man jetzt die Mannschaft finanziell alleine stemmen könne, was nicht nur in der Nachbetrachung ein Schenkelklopfer ist.

Wie groß ist Dein Vertrauen noch in Präsident Robert Reisinger?

Umfrage endete am 27.04.2023 20:00 Uhr
Ich war nie ein Fan von ihm.
60% (2419)
Ich halte ihn mittlerweile für eine Fehlbesetzung!
26% (1055)
Er genießt mein uneingeschränktes Vertrauen!
14% (561)

Teilnehmer: 4035

Der nicht abgestimmte Rauswurf von Ex-Trainer Michael Köllner, der ab Sommer 2022 immer wieder von Reisinger maßgeregelt wurde, hat jetzt wieder alte Wunden in Abu Dhabi aufgerissen. Der Investor, der so große Hoffnungen in den Oberpfälzer gesetzt hatte, fühlt sich mit dieser Maßnahme vom Verein brüskiert. Seitdem postet Ismaik wieder in schöner Regelmässigkeit seine Gedanken. So ganz zufrieden mit dem Giesinger Komödienstadl um die Trainer-Entlassung scheint aber auch Reisinger selbst nicht zu sein: Er strafte seine Geschäftsführung mit einer Abmahnung ab. Dieses Thema wurde aber schnell wieder unter den Tisch gekehrt. Weil es allen Beteiligten inzwischen selbst peinlich ist, dass ganze vier Wochen ein neuer Trainer gesucht worden ist? Möglich.

Worüber sich viele Fans auch wundern: Warum vertritt Reisinger die Löwen nicht nach außen und präsentiert seinen Klub beispielsweise im TV? Es geht auch um Image und Präsentation der Marke 1860. Nach db24-Informationen soll es in den letzten Jahren nicht wenige Versuche seitens MagentaSport gegeben haben, um den Löwen-Boss für ein Interview zu gewinnen. Besonders jetzt hätten es die Fans verdient, zu erfahren, wie es um die Löwen bestellt ist. Quasi aus erster Hand. Seinen letzten großen TV-Auftritt hatte Reisinger 2019 - vor knapp vier (!) Jahren - bei “Blickpunkt Sport”, als er über ein gewisses Fanklientel u.a. von “Homeboys” gesprochen hat.

Der Status Quo der Löwen ist mehr als ernüchternd - und das darf nicht schön geredet werden: Der Klub bewegt sich auch in der wenig schmeichelhaften Reisinger-Ära, in der Ismaik lange in der Beobachter-Rolle war, keinen Schritt nach vorne - weder im sportlichen Bereich noch in der für alle so quälenden Stadion-Politik. Man gewinnt immer mehr den Eindruck, dass alles künstlich in die Länge gezogen wird, um dieser unangenehmen Standort-Entscheidung aus dem Weg zu gehen. Die Stadt München will und kann von ihrer Aussage, dass nur 18.105-Fans in einer umgebauten Spielstätte Platz hätten, nicht abweichen. Der anfangs von Reisinger propagierte Konsolidierungskurs ist - welch Wunder - sowieso längst gescheitert. Was man Reisinger jedoch zu gute halten muss: Unter ihm steigen die Mitgliederzahlen. Dazu muss man allerdings wissen: Ohne e.V.-Mitgliedsausweis hat man in der Regel keine Chance auf eine Eintrittskarte für das Grünwalder Stadion - und somit profitiert der e.V. ganz entscheidend von der KGaA.