VON OLIVER GRISS UND ARCHIVBILD (IMAGO)

Es ist ein Rekord im deutschen Fußball für die Ewigkeit - mittendrin: Nicht der FC Bayern, sondern der einst so ruhmreiche TSV 1860. Am 15. August 1973 säumten rund 100.000 Fans das Münchner Olympiastadion, um das 1:1 zwischen den Löwen und dem FC Augsburg zu sehen. Mehr Fans sahen nie wieder ein Fußballspiel in Deutschland live im Stadion. Einige db24-Leser waren vor genau 50 Jahren am Oberwiesenfeld dabei und schildern uns ihre unvergessenen Eindrücke:

Ludwig Festl: “Ich war dabei! Gerade hatte ich den Eintritt gelöst, da fiel unser Tor und vor dem Kassenhäuschen begann ein Drängen und Schieben, kein vor und zurück, Kinder wurden hochgehoben, um nicht erdrückt zu werden. In der Not wurden viele Menschen auf das Dach des Kassenhäuschens gezogen, um so ins Stadion zu gelangen und den Andrang zu entlasten, so auch ich. Als ich hinter der Kasse auf dem Boden
war, krachte es plötzlich und die Leute auf dem Dach waren durchgebrochen. Während des ganzen Spiels waren die Sirenen der Einsatzfahrzeuge zu hören. Ich war auch gegen Schweinfurt im Grünwalder, total durchnässt mit mieser Sicht wegen 1000 Regenschirmen! Leider beide Spiele unentschieden – schönstes Spiel: gegen -ich glaube- Frankfurt im Oly, 0:3 und Endstand 4:3 und natürlich Erfolge gegen Bayern! Ich hatte früher immer eine Sitzplatz-Dauerkarte, sowohl im 60er als auch im Oly. Ich bin als gebürtiger Münchner alle 14 Tage aus dem Bayerwald nach München zu unseren Löwen. Das schönste Stadion war für mich das Olympiastadion (nicht nur wegen der Erfolge); schon die Anreise und der kurze Fußmarsch von den Parkplätzen zum Stadion und das Olympiagelände boten eine tolle Atmosphäre unter gleichgesinnten Löwenfans und die Blockaufteilung war gut organisiert. Selbst im VIP-Bereich der Arena war es nicht so “löwig” und das, obwohl ich manches gute Gespräch mit Spielern hatte, mit unserem stets freundlichen und nahbaren Investor Hasan Ismaik “Sieges-Zigarren” getauscht habe und sogar mit Familie Ayre nett kommuniziert habe. Nachdem die Rückkehr in unsere ‘Heimat’ beschlossen wurde, habe ich im 25. Jahr meine Vereinsmitgliedschaft beendet. Heute brächten mich nicht einmal geschenkte Karten noch einmal in diese Grünwalder Ruine. Ich verfolge meine Löwen aber regelmässig auf Magenta und täglich über Eure “die Blaue” und lasse keine Folge von Radis Erben aus. Danke für Euren Enthusiasmus, die gute Info und die manchmal lustigen Kommentare…Herr Wildmoser wird nicht auferstehen, aber Ich hoffe es dennoch zu erleben, die Löwen wieder -wenigstens - in der Zweiten Liga und in einem schmucken neuen Stadion (oder Olympiastadion) anzufeuern.”

Wolfgang Haider: “Ich war am 15.August gegen den FCA im Olympiastadion. Mit meiner Frau und meinen Kindern Markus und Sabine waren wir Gottseidank frühzeitig im Stadion, bevor das Chaos ausbrach. Sowas musst du mal erleben, denn das waren sicher 100.000 Zuschauer. Ich bin seit 1962 (13 Jahre alt) mehr leidender, aber umso mehr überzeugter Löwe! Auch die Kinder von Markus Julian, Elisa und Maxi sind Löwenfans und heute am 15.August ist auch der Freund von Elisa zum Löwenfan geworden. Bei uns in Iggensbach-Handlab ist am 15. August immer der große Frauentag mit ca. 5000 Besuchern und da war in diesem Jahr erstmals ein 60er-Stand. Ja, im Moment bin ich mehr ein leidender Löwe. Deshalb geh ich auch nicht mehr ins Stadion (genau wie der Edellöwe Franz Hell). Meine einzige Hoffnung sind Ismaik, Saki und der absolute Glücksfall Jacobacci! Wir halten die Löwenfahne hoch, auch wenn uns die meisten auslachen…Ja, es ist traurig, dass unser 1860 der einzige Profiverein in Deutschland ist, der eine diktatorische und undemokratische Satzung hat.”

Peter Grett: “Ich hatte mir als Jugendlicher zwei Wochen zuvor beim Kicken das Schlüsselbein gebrochen, was mich jedoch nicht davon abhielt, das Spiel - versehen mit einem Rucksackverband - zu besuchen. Wir standen in der Nordkurve derart dicht gedrängt, wie ich es später nicht mehr erlebt habe. Trotz der brutalen Enge gelang es mir beim 1:0 irgendwie die Arme hochzureißen. Mit dem Ergebnis, dass die gebrochene Stelle wieder nachgab…egal. Schon vor dem Sturm der Fans über den Zaun war von den Aufgängen nichts mehr zu sehen, da alle Treppen mit Zuschauern belegt waren. Irgendwie herrschte später eine unheimliche Atmosphäre, da während der gesamten 90 Minuten Sirenen von Rettungswagen, wie wir später erfuhren, zu hören waren. Trotz des Unentschiedens gehörte dieses Spiel, neben den Aufstiegsspielen in Frankfurt und Meppen und dem 6:1 im Sechzger mit Kögl, Korus und Co. zu den Highlights meines Fandaseins.”

Markus Roth: Der 15. August 1973 war der Tag, an dem ich Fan vom TSV 1860 München wurde. Ich begann mich dim Alter von 9 Jahren langsam für Fußball zu interessieren und wollte auch endlich für meinen Verein, den TSV 1929 Schwabhausen im Landkreis Dachau in ein Trikot schlüpfen. Damals ging der Spielbetrieb erst ab der D-Schüler, also im Alter von zehn Jahren, los. Die Wartezeit wurde mir von meinem Vater versüßt. Selbst ein 60er Fan, nahm er mich mit ins Olympiastadion, um den TSV gegen den FC Augsburg zu sehen. Es war das erste Mal, dass ich ein Fussballspiel in einem richtig großen Stadion anschauen durfte. Was es genau mit Helmut Haller auf sich hatte, war mehr meinem Vater bewusst als mir. Ich war schwer beeindruckt von dem riesigen Stadion. Wir saßen westlich von der Nordtribüne. Ich kann mich nicht mehr erinnern, ob ich Angst bekommen habe, als ich auf der gegenüberliegenden Seite die Menschen an den Zäunen hinter der Gegengerade emporklettern sah. Auf jeden Fall war ich ab diesem Tag fasziniert, nicht nur vom Spiel und der beeindruckeneden Atmosphäre im Stadion, sondern auch von der magischen Anziehungskraft meines zukünftigen Lieblingsvereins. Und weil der Cousin meines Vaters mit dem Willi Bierofka zusammen die Berufsausbildung gemacht hat, durfte ich während meiner Jugendjahre hin und wieder mal durch spezielle Eingänge ins Oly-Stadion fahren - und kam mir dabei natürlich unendlich wichtig vor. Der Willi hat später nach seiner aktiven Laufbahn während seines Trainerdaseins dann auch mal die Mannschaften des TSV Schwabhausen trainiert. Obwohl ich nur ab und zu mal ins Stadion gehe, so hat mich die Liebe zu diesem Verein nie verlassen, auch wenn es manchmal schwer ist. Aber wie sagte einst Ottfried Fischer: ‘schwer ist leicht was’.