VON OLIVER GRISS

Dass plötzlich die Transferpolitik der Löwen (mit 13 Neuzugängen und 18 Abgängen) aufploppt und damit auch aufzeigt, dass die Giesinger Kontinuität schon wieder vorbei ist, ist hausgemacht. Trainer Maurizio Jacobacci hat das aber am geringsten zu verantworten, sondern dieses Problem ist allein in der Chefetage an der Grünwalder Straße 114 zu suchen: Allen voran Präsident Robert Reisinger hatte die Löwen-Zukunft gemeinsam mit der HAM (Stichwort: Konzept!) selbst in der Hand. Sich aber jetzt hinzustellen und den selbstherrlichen Chefkritiker zu geben, ist absolut unangebracht.

Hätte Reisinger beispielsweise Ende Februar, als feststand, dass der TSV 1860 wieder mal seine Ziele nicht erreichen kann, ähnlich fordernd reagiert wie in den letzten Wochen, dann wäre den Löwen vermutlich einiges in diesem schwierigen Transfersommer erspart geblieben: Möglicherweise ist Reisinger aber auch bewusst abgetaucht, denn er hatte dieses Wirrwarr erst möglich gemacht, als der Ober-Löwe sich im Winter für die Vertragsverlängerung von Günther Gorenzel bis zum 30. Juni 2024 entschieden hat - und das obwohl jeder nach dieser fünfjährigen Beziehung im Umfeld wusste: “Gorenzel & Sechzig - das wird nix mehr! Die Balance ist raus!”

Reisinger hätte mit seinem Beiratskollegen Nicolai Walch vorausschauend und zum Wohl des Giesinger Profifußballs das Arbeitspapier des Sport-Geschäftsführers kündigen können (die HAM-Seite war dafür) - darauf wurde aber verzichtet, warum auch immer. Und so nahm das Unheil an der Grünwalder Straße 114 erst seinen Lauf. Der von Reisinger abgemahnte Gorenzel, der zuvor mehr als eine ganze Fußball-Mannschaft bei den Löwen verabschiedet und es dabei nicht geschafft hatte, Leistungsträger wie Yannick Deichmann oder Marius Wörl an den Verein weiter zu binden (beide Spieler wollten unbedingt bleiben, fühlten sich aber nicht respektiert), kam im Mai mit seinen eigenen Abschiedsplänen auf die Löwen zu. Die Vereinsspitze war überrascht von diesen Entwicklungen, schließlich ließ man Gorenzel nach Klagenfurt ziehen und das zu einem Zeitpunkt, in dem bei gut geführten Klubs die Personalplanungen längst abgeschlossen sind. Anders bei Sechzig: Mit Marlon Frey, Julian Guttau und David Richter wurden noch drei Transfers von Gorenzel abgewickelt - mehr konnte er nicht umsetzen, auch weil der TSV 1860 konservativ mit einem Etat von nur 4,5 Millionen Euro geplant hat. Und dieser war zum Gorenzel-Abschied eben nahezu ausgereizt.

Erst als die Fans wider Erwarten über 11.700 Dauerkarten lösten und zudem einige Gehälter eingespart wurden (u.a. Leandro Morgalla, Martin Kobylanski und Nathan Wicht), konnten die Löwen nochmal kräftig nachlegen. Dass man zu diesem Zeitpunkt nicht mehr seriös eine Mannschaft, die den Ansprüchen von 1860 genügt, aufbauen kann, ist eigentlich selbstredend - und deswegen sind die Vorwürfe an die eigene Geschäftsführung, die von Reisinger bis heute nicht zurückgenommen wurden, frech. Er selbst hatte die Möglichkeit, in den letzten sechs Jahren die Zukunft von 1860 positiv mit zu gestalten. Das Ergebnis ist bekannt. Jetzt sind seine Worte aber nicht mehr als ein Brandbeschleuniger - zum Nachteil der Profiabteilung.