VON OLIVER GRISS

1860 München wird seinem Ruf als Chaos-Klub wieder einmal gerecht: Auf der denkwürdigen Mitgliederversammlung der Fußballer am Mittwochabend vor 120 fassungslosen Mitgliedern in der VIP-Alm am Trainingsgelände gab es eine Abstimmung darüber, ob Neuwahlen der Abteilungsleitung gestrichen und zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt werden sollen.

Wahlausschuss-Mitglied Christian Poschet griff in der VIP-Alm kurz nach der Eröffnung der Veranstaltung zum Mikro: “Ich will, dass Peter Schaefer die Versammlungsleitung übernimmt, damit Schärfe rausgenommen wird.” Nachdem sich Abteilungsleiter Dr. Thomas Bohlender nicht beugen wollte, zog Poschet den Antrag zurück. Was man wissen muss: Poschet und Schaefer sitzen zusammen im Wahlausschuss des Gesamtvereins.

Nach Poschets Versuch wandten sich diverse und allseits bekannte Löwen-Strategen an die Anwesenden. Erst berichtete Martin Scherbel, Vorstand der Freunde des Sechzger Stadions, dass offenbar ein Vorgang aus der Abteilungsleitung beim Ehrenrat vorläge und man deswegen nicht wählen könne. Auch Ex-Abteilungsleiter Roman Beer blies ins selbe Horn: “Es soll wohl einiges in der Abteilung im Argen liegen. Bevor wir dreckige Wäsche waschen, sollten wir die neue Abteilungsleitung nicht wählen.” Verwaltungsrat Sebastian Seeböck schnappte sich das Mikro und schloß sich dem Antrag an.

Und Veronika Seemann, Bohlenders Herausforderin, jammerte kurz danach: “Ich stehe für weniger Selbstdarstellung, sondern für mehr Wir….Unser Gremium ist nicht arbeitsfähig. Wir können nicht arbeiten.” Ein deutlicher Affront gegenüber Bohlender.

Die Mitglieder, die bei sommerlichen Temperaturen in die Holzhütte gekommen waren, erlebten auf jeden Fall einen historischen wie auch humoristischen Abend. Anwalt Schaefer las schließlich für 1860-Mitglied Wolfgang Jungwirth eine Nachricht vor: “Das war ein Putschversuch, das dürfen wir nicht zulassen. Das ist das, was uns von den e.V.-Kritikern immer vorgeworfen wird.” Es ging auch um das Löwenmagazin, um den Ehrenrat und Indiskretionen. Kommt das einem nicht irgendwie alles bekannt vor aus der Abteilung Selbstzerstörung?

Was für eine Posse im Giesinger Zirkus, dem auch Aufsichtsratsboss Saki Stimoniaris, die beiden Vizes Karl-Christian Bay und Norbert Steppe sowie KGaA-Geschäftsführer Dr. Christian Werner live beiwohnten. Auch Ex-Vize Hans Sitzberger wurde - wie die Verwaltungsräte Christian Dierl und Nicolai Walch - in der Alm gesichtet. Insbesondere Sitzberger, der neben Stimoniaris und dem Seemann-Vater am Biertisch saß, wird sich bei der neuesten Peinlichkeit bei den e.V.-Fußballern an eine Kampagne erinnert haben, als dreckige Gerüchte aufgetaucht waren und der Unternehmer nach einer Schlammschlacht letztlich völlig entnervt aufgegeben hat. Übrigens: Ober-Löwe Robert Reisinger fehlte bei diesem denkwürdigen Treffen der e.V.-Fußballer.

Beim TSV 1860 kommt man aus dem Kopfschütteln nicht mehr heraus - KGaA-Mehrheitsgesellschafter Hasan Ismaik dient dieses Mal jedenfalls nicht als Prügelknabe. Und es gab auch keine Sprechchöre: “Wir sind der Verein.”

Der e.V. mag sich offenbar selbst nicht mehr - und zeigt, warum der Giesinger Verein in dieser Konstellation keine Perspektive hat. Es ging an diesem Mittwochabend um Eitelkeiten, Intrigen und schwere Vorwürfe. Ja, die Kameradschaft, ja, die Kameradschaft: Bei den Löwen zerfleischt man sich lieber gegenseitig. Hinter vorgehaltener Hand wurde an einem Tisch getuschelt: “Da ist der Stimoniaris aus der KGaA da - und dann geben wir als e.V. so ein erbärmliches Bild ab…”

Der Plan von Beer, Seeböck & Co. ging nicht auf - 64 Löwen wollten, dass die Wahl der Abteilungsleitung durchgezogen wird, 51 waren dagegen. Am Ende, am späten Mittwochabend, wurde dann gewählt. Seemann wurde um 22.26 Uhr mit 76 Ja-Stimmen zur neuen Fußball-Chefin gekürt. Klar war schon vor dem Wahl-Ausgang: Die Abstimmung könnte ein Nachspiel haben, denn diese Mitgliederversammlung hat eines gezeigt: Es gibt auch in den einzelnen Abteilungen kein Miteinander, sondern Zankerei ohne Ende.

Bohlenders Schlusssatz nach seiner Wahl-Niederlage: “Als Sportler kannst du nicht immer gewinnen.”

Bevor Bohlender auf der Mitgliederversammlung seine Schlappe akzeptieren musste, verkündete er die Rekordzahl von 22.261 Mitgliedern zum Stichtag 1. Juli in der Fußballabteilung: “Das ist ein Zuwachs von 440 Mitgliedern im Vergleich zum Vorjahr - und das obwohl die Profis nicht so erfolgreich waren. Das ist der höchste Mitgliederstand, den wir jemals hatten. Das ist ein Zeichen, dass 1860 lebt.”

Bohlender führte in seiner Darstellung auch auf, dass die KGaA dem e.V. weiterhin circa 800.000 Euro schulde. “Wir sind nicht nur auf die Mitgliedsbeiträge angewiesen, sondern auch auf die Fördergelder des DFB.” Nur 111.000 Euro sind geblieben, in der vorangegangenen Saison waren es noch über 600.000 Euro durch die Arbeit von Ex-Trainer Michael Köllner. Laut Bohlender könne aber durch den Verkauf der Panini-Bilder mit einem Erlös von rund 100.000 Euro zu rechnen sein.

Bohlender ergänzte zudem, dass es bald einen neuen Servicevertrag geben werde, den der kaufmännische Geschäftsführer Oliver Mueller anschieben will.

Bohlenders Fazit nach zwei Jahren Fußball-Abteilungsleiter bei Münchens großer Liebe: “Das ist ein Fulltime-Job, wenn du Erfolg haben willst. Neid und Missgunst haben hier nichts zu suchen. Wir haben lange Zeit sehr gut zusammen gearbeitet…”

Im Geschäftsjahr 2022/2023 erzielten die Löwen-Fußballer einen Umsatz von 1,723.445,60 Euro - im Vorjahr waren es 1.648.936,92 Euro. Das entspricht einer positiven Veränderung von 4,5 Prozent. Die Aufwendungen sind um 23,6 Prozent gestiegen - von 2.201.023,17 auf 2.720.354,92 Euro.

db24 meint: Wer soll diesem Verein noch freiwillig Geld geben? Eigentlich hätte man für diese denkwürdige wie peinliche Veranstaltung Eintritt verlangen müssen - das war Intrigantenstadl pur. Dieses Treffen war für jeden aufrichtigen Löwen eine große Schande und zeigt deutlich auf, wie kaputt und schmutzig 1860 mittlerweile ist. Die Löwen brauchen endlich eine starke Opposition und einen sauberen Neuanfang mit Menschen, die mit Empathie, Fürsorge, Kompetenz und Herzblut ausgezeichnet sind.