VON OLIVER GRISS UND IMAGO

Zunächst zu den Fakten: Die Fußball-Abteilung hat erstmals in der Vereinsgeschichte eine Frau an der Spitze der größten Amateur-Sparte des TSV 1860 München. Ihr Name: Veronika Seemann. Sie gewann die Schlammschlacht am Mittwochabend in der VIP-Alm gegen den bisherigen Abteilungsleiter Thomas Bohlender. Um 22.34 Uhr - nach einer zuvor nicht für möglich gehaltenen hitzigen Mitgliederversammlung - war dieses Ergebnis amtlich: Seemann entschied mit 76 Ja- sowie 41 Nein-Stimmen den internen Machtkampf, der einen neuen negativen Höhepunkt in der jüngeren Vereinsgeschichte abbildet. Bernd Bramböck ist neuer Stellvertreter.

Dass überhaupt in München-Giesing gewählt werden würde, war zunächst unsicher: Denn ein Flügel bei den 1860-Fußballern (u.a. Ex-Abteilungsleiter Roman Beer, Sebastian Seeböck, Martin Scherbel) wollte die Wahl verschoben haben, weil u.a. der Ehrenrat eingeschaltet war und das kurioserweise auch umgehend lanciert wurde; der andere Flügel wollte das Procedere unbedingt durchziehen. Mittendrin: Rund 120 verdutzte Löwen-Mitglieder.

Peter Schaefer, der am Ende durch die Wahl führte, las während der Veranstaltung eine übermittelte Wortmeldung von Löwen-Mitglied Wolfgang Jungwirth vor: “Das Erschreckende an der Vorgehensweise ist jetzt, dass bei so einem Gebaren künftig potenzielle Kandidaten vor einer Kandidatur für ein Ehrenamt absehen werden. Fähige Personen, die sich für ein Ehrenamt zur Verfügung stellen, sind rar gesät. Dieser Putschversuch ist genau das, was uns vor den e.V.-Kritikern vorgeworfen wird. Das ist wie Öl ins Feuer zu gießen, anstatt gemeinsam unsere Probleme zu lösen. So zerfleischen wir uns selber. Wie hat Franz Hell mal so schön gesagt: ‘1860 kann man nicht von außen zerstören, das erledigen wir selber.’” Die Löwen sind längst in einem Level der Zerstörung angekommen, der nur noch schwer zu kitten ist.

Dass die e.V.-Fußballer (von der U9 bis U17, Amateure, Frauen-Teams und Futsal) die Versammlung trotz gravierender Unstimmigkeiten (Bohlender: “Es ging um einen Boykott. Ich habe Beweise - die liegen beim Ehrenrat. Das ist ein schlimmer Vertrauensbruch! Ich habe nichts dem Löwenmagazin gesteckt”) überhaupt ansetzten und dem TSV 1860 in aller Öffentlichkeit einen Bärendienst erwiesen haben, darüber gilt es nachzudenken - aber auch über die Rolle des Präsidiums: Warum hat sich Ober-Löwe Robert Reisinger mutmasslich vorab nicht eingeschaltet, um hinter verschlossenen Türen zu schlichten und die Kuh vom Eis zu holen?

Bereits im Vorfeld dieses Termins war eindeutig sichtbar, dass es auf eine Kampfabstimmung zwischen Bohlender und Seemann hinausläuft und dadurch Schaden auf die Abteilung und die Außendarstellung des Klubs zukommen würde. Der 80-jährige AH-Leiter Walter Kopp, seit 1954 im Giesinger Klub, ergriff das Wort und erklärte: “Es ist nicht meine erste Abteilungsversammlung des TSV 1860. Was ich heute sagen muss: Wir führen uns auf wie ein Kindergarten.” Auch Löwen-Mitglied Christoph Schifflechner richtete deutliche Worte an die Streithähne auf offener Bühne: “Ihr habt Schaden für die Abteilung heute geschaffen. In meinen Augen muss ein kompletter personeller Neuanfang her.” Dazu kommt es jetzt allerdings nicht.

Es ist zu erwähnen, dass Präsident Reisinger auf dieser wichtigen Mitgliederversammlung mit Abwesenheit glänzte, während seine beiden Stellvertreter Karl-Christian Bay und Norbert Steppe vor Ort waren und gespannt den Ausführungen lauschten. Je hitziger es in der VIP-Alm am Mittwochabend wurde, desto mehr hätte sich der ein oder andere Anwesende einschreitende Worte von Bay oder Steppe gewünscht. Doch beide Funktionäre blieben überraschenderweise stumm. Ein Armutszeugnis für 1860. Dabei war es auf der Mitgliederversammlung des Gesamtsvereins vor einigen Wochen Steppe selbst, der versprochen hatte, die Gräben innerhalb der Löwen zuzuschütten.

Hat das Löwen-Präsidium noch alles im Griff?

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In den letzten Monaten kam es immer wieder zu bösen Anschuldigungen, Intrigen und Mobbingvorwürfen innerhalb des Klubs. Der schwer gezeichnete Hans Sitzberger gab vor Monaten als Vize entnervt auf, Ex-Geschäftsführer Marc Pfeifer (jetzt Vorstand bei Rot-Weiss Essen) wurde vom Fanblog sechzger.de “unsauberes Transfergebaren” vorgeworfen - und auch die Boxabteilung des TSV wurde von selbem Portal in den Schmutz gezogen. Die Vorwürfe wurden zu keiner Zeit bestätigt, Abteilungsleiter Ali Cukur hatte sie umgehend dementiert. Zuletzt wurde ein Antrag zu einem anonymen Ausschlussverfahren gegen Mehrheitsgesellschafter Hasan Ismaik lanciert. Was kommt als nächstes?

So oder so: Auf die neue Fußball-Chefin Seemann kommen künftig hohe Hürden zu, weil das Geld knapp ist und nicht unbedingt zu erwarten ist, dass die Gelder aus dem DFB-Nachwuchstopf wieder auf das Niveau aus der Köllner-Zeit kommen. Unter dem Oberpfälzer wurden durch dessen gezielte Talentförderung weit über eine Million Euro eingespielt. In der vergangenen Saison waren es nur noch 110.000 Euro. Mit dem Verkauf der Panini-Bilder will die Abteilung die Mindereinnahmen in diesem Bereich ein wenig reduzieren.