VON OLIVER GRISS UND IMAGO (FOTO)

Erich Beer, früherer Spieler und zweimal Interimscoach des TSV 1860, war Anfang der Woche nach längerer Zeit mal wieder am Trainingsgelände an der Grünwalder Straße 114. Als der frühere Nationalspieler (24 Länderspiele, WM-Teilnehmer 1978) im Jahr 1981 zu den zweitklassigen Löwen wechselte, war er für viele Fans ein Idol: "Ich hatte eigentlich für die Bundesliga unterschrieben, bin aber dann trotzdem zu den Löwen gewechselt." Für die Löwen spielte Beer nie im Oberhaus, dafür absolvierte er u.a. für Hertha BSC, Nürnberg und Essen 342 Bundesligaspiele und erzielte dabei 95 Tore. Das db24-Interview:

db24: Schön, dass Sie wieder mal bei 1860 vorbeischauen, Herr Beer: Wie sehen Sie die Ist-Löwen?

ERICH BEER (77): Es ist viel Unruhe im ganzen Verein - das ist das Schlimme, dass das nicht aufhören mag. Der Fokus muss einzig und allein auf die Mannschaft gerichtet sein. Wenn sie Erfolg hat, dann kehrt Ruhe ein und dann kommen auch Sponsoren. Aber so?

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db24: Was macht Ihnen Hoffnung?

Die Fans! Wie die immer noch hinter der Mannschaft stehen. Das ist einmalig in Deutschland. Gefühlt hat der Verein seit 20 Jahren Misserfolg - und trotzdem ist das Stadion immer ausverkauft. Das ist schon fantastisch. Aber es gibt natürlich ein Problem bei 1860: Wenn die Saison beginnt, dann sind sie gefühlt schon aufgestiegen (lacht). Aber das ist 1860. Das ist Fluch und Segen zugleich.

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db24: Die Geschäftsführung hat sich ja selbst unter Zugzwang gebracht, verkündete in der sogenannten Biss-Präsentation, dass man bis 2029 die Nummer 2 in Bayern sein wolle…

Das geht natürlich nicht! Das war kontraproduktiv und ist komplett unrealistisch. Das geht doch gar nicht, wenn man die Vereine in Bayern mal genauer durchleuchtet. Die eigene Mannschaft muss ordentlich aufgestellt und gut geführt werden. Und alles andere kommt dann von ganz allein. Aber man kann von solchen Zielen nicht reden, wenn man in der letzten Saison fast abgestiegen wäre. Das gilt auch fürs Stadion: Erst die Mannschaft, dann Zukunftspläne für einen Umbau oder Neubau. Wenn man aufsteigt, ist das Stadion zu klein - und dann hat auch die Stadt ein Problem.

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db24: Sie kennen den Klub in- und auswendig: Warum ist bei 1860 oft Feuer unterm Dach?

Bei 1860 war es schon immer so: Jeder will mitreden! Der Verein ist dafür leider sehr anfällig. Was mich ein bisschen geärgert hat: Vor ein paar Jahren wollte ich eine Karte für das DFB-Pokalspiel gegen Dortmund, dann hieß es: “Ja, sie können die Karte haben, kostet aber 95 Euro.” Ich habe die Karte dann bezahlt,aber vom Spiel habe ich wenig gesehen auf der Gegengerade, weil die Fans immer wieder aufgestanden sind…

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db24: Vor einiger Zeit wurden Sie unfreiwillig auf die Bühne gehoben. Der TSV 1860 e.v. hat im eigenen Fanshop ein T-Shirt mit einem vermeintlichen Beer-Spruch “Das Biertrinken habe ich bei 1860 gelernt” verkauft. Haben Sie das wirklich so gesagt?

Nein, ich muss da weiter ausholen. Dieses Zitat wurde falsch wiedergegeben. Ich habe das nie so gesagt. Richtig ist, dass ich bei einer Telefonaktion einer Münchner Zeitung nach meiner Fitness gefragt wurde. Ich antwortete, dass ich das Biertrinken erst in München kennengelernt habe, weil ich ja zuvor bei Hertha und in Saudi-Arabien war. Meine erste Maß Bier habe ich auf dem Oktoberfest getrunken. Es wurde mit dem Spruch ein völlig falscher Eindruck erweckt. Wenn ich noch Spieler wäre, würde mich das ärgern, weil man als Säufer hingestellt wird. Aber so kann ich drüber lachen. Ich trinke heute vielleicht mal einen Radler. Ich wurde sogar von irgendwelchen Leuten angerufen, ob ich ein T-Shirt haben wolle. Ich habe dankend abgewunken (lacht).

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db24: Lassen Sie uns mal teilhaben an den 80er Jahren, als Sie zu 1860 gewechselt sind…

Ich hatte eigentlich einen Vertrag für die Bundesliga unterschrieben, aber dann ist 1860 doch noch abgestiegen, weil sie die Spiele gegen den HSV und Karlsruhe nicht gewonnen haben. Ich bin trotzdem zu den Löwen gewechselt - und wir sind dann Vierter in der Zweiten Liga geworden. Ein Punkt hat uns zur Relegation gefehlt. Der Verein hatte aber acht Millionen Mark Schulden. Und dann kam der Zwangsabstieg in die Bayernliga. Eigentlich wollte ich aufhören, doch dann kam der damalige Schatzmeister Peter Englert zu mir und sagte: “Wir brauchen dich! Du führst unsere Talente!” Dann habe ich noch anderthalb Jahre in der Bayernliga gespielt…

db24: Und das nicht so schlecht. Das Highlight war vermutlich das 6:1 vor über 30.000 Fans im Grünwalder Stadion Gründonnerstag 1984 gegen die SpVgg Fürth…

Das war Wahnsinn, ja! Das war auch die Saison, in der wir Meister geworden sind, aber die Aufstiegsspiele verhaut haben. Wir hatten einen Sturm mit 17- und 18-Jährigen: Ludwig Kögl, Jürgen Korus und Andreas Löbmann. Die haben in der Aufstiegsrunde kein Tor geschossen.

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db24: Sie waren zweimal auch Interimscoach bei 1860: Warum ist es so schwer, bei 1860 Trainer zu sein?

Bei mir war das ja ein wenig anders: Ich hatte ja damals die A-Jugend der Löwen trainiert - und dann wurde Popescu entlassen. Und die Mannschaft meinte, ich solle die Erste trainieren. Und Karl Heckl, der damalige Präsident, meinte: “Nein, das geht nicht - mit dem Beer steigen wir nicht auf.” Vor lauter Wut bin ich dann nach Bayreuth gewechselt. Im letzten Spiel haben wir dann 1860 mit 3:1 besiegt und stiegen über die Aufstiegsrunde in die Zweite Liga auf. Ich habe dann als Trainer in Bayreuth aufgehört, weil ich nicht umziehen wollte. Ich hatte mir kurz vorher in Grünwald ein Haus gekauft und mein Sohn stand kurz vor dem Abitur. Danach habe ich Grünwald als Trainer übernommen und bei BMW unterschrieben.

db24: Anders gefragt: Warum muss man bei 1860 als Trainer eine Persönlichkeit sein?

Das Entscheidende ist: Bei 1860 musst du als Trainer mit allen Wassern gewaschen sein. Bei 1860 brauchst du Trainer, die wissen, wie 1860 funktioniert, wie die Menschen in diesem Verein ticken, wie die Fans leiden und hoffen. Das muss man wissen, wenn man einen Vertrag als Trainer unterschreibt. Da fehlt’s einfach. Ich kann keinen Trainer zu den Löwen holen, der den Verein nicht kennt und sich erst alles aneignen muss. Bis der die Löwen fertig studiert hat, ist es oft schon wieder vorbei.

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db24: Bevor Sie zu den Löwen wechselten, hatten Sie für Al-Ittihad in Saudi-Arabien gespielt. Der TSV 1860 hat mit Hasan Ismaik einen Investor aus Abu Dhabi. Sie haben die Kultur kennengelernt. Wie muss man mit Ismaik umgehen?

Man sollte ihm das Gefühl geben, dass er wichtig ist. Nicht nur als Geldgeber, sondern auch als Mensch. Dankbarkeit ist in dieser Kultur wichtig. Ich habe mal gelesen, dass Ismaik sauer war, dass er nicht vom Flughafen abgeholt worden ist. Das wunderte mich nicht. Leute wie Ismaik musst du umgarnen, dann kommt auch was zurück. Die Kommunikation ist wichtig - und da habe ich das Gefühl, dass Ismaik völlig abgeschnitten ist.

db24: Mittlerweile ist Ismaik im 14. Jahr bei 1860…

Sein Fehler war, dass er sich von Anfang an einen fußball-erfahrenen Mann an die Seite hätten stellen müssen. Dann wäre das anders gelaufen. Felix Magath hätte ich mir gut vorstellen können. Ismaik braucht einen, der ihm zeigt, wie der Fußball in Deutschland funktioniert.

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