Trainer-Legende Köstner im db24-Interview: "Bayern, 1860 und Haching gemeinsam in der Bundesliga - die Luft in der Stadt hat gebrannt"
- VON OLIVER GRISS UND IMAGO (FOTO)
- 16.10.2024 17:06
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VON OLIVER GRISS UND IMAGO (FOTO)
Lorenz Köstner (72) ist eine Münchner Fußball-Legende. Er führte das "Dorf" Unterhaching seinerzeit von der Bayernliga bis in die Beletage des deutschen Fußballs. Drei Bundesliga-Teams in der bayerischen Landeshauptstadt: Bayern, 1860 und Haching - eine Konstellation, die es wahrscheinlich nie wieder geben wird. Das db24-Interview mit Köstner:db24: Herr Köstner, in der Dritten Liga steht das Derby zwischen Haching und 1860 an: Welche Gefühle kommen bei Ihnen vor dieser Partie auf?
LORENZ KÖSTNER: Ich bin inzwischen relativ weit weg. Aber ich schaue mir natürlich noch das ein oder andere Spiel von 1860 oder Unterhaching an. Das 1:3 der Löwen gegen den VfB Stuttgart II habe ich live in Großaspach gesehen. Oder das 2:3 gegen Wiesbaden bei MagentaSport. Wenn man diese Spiel-Konstellation Haching gegen 1860 vor Augen hat, dann kommen natürlich die Gefühle hoch. Ich war vor langer Zeit ein Teil des Ganzen. Das lässt einen auch Jahre danach nicht los.
db24: Was bleibt von früher noch besonders in Erinnerung?
Bayern, 1860 und Haching - drei Münchner Klubs in einer Liga, das war einmalig im deutschen Fußball. Das hatte Londoner Verhältnisse (lacht). Das war eine Superzeit. Es gab in Unterhaching das Lokal “Waldeslust”, in dem sich die Spieler aller Vereine trafen: Mehmet Scholl, Christian Ziege, Thomas Häßler oder Alexander Strehmel. Heute undenkbar. Das Verhältnis untereinander war phänomenal. Alle drei Klubs haben von diesem Miteinander profitiert. 1860 hatte in dieser Zeit Champions League-Qualifikation gegen Leeds gespielt, zuvor zweimal in einer Saison die Bayern besiegt. Der Verein war in der Konstellation Wildmoser & Lorant ein Erfolgsgarant. Das hat sich in diesen Jahren alles hochgeschaukelt. 1860 hat sich an den Bayern hochgezogen, wir an den Löwen. Wenn Derbys anstanden, dann waren das immer Festtage im Münchner Fußball, vor allem wenn 1860 oder Bayern zu uns in den Sportpark kamen. Die Luft in der Stadt hat gebrannt. Ich weiß noch wie heute: Als wir mit Haching noch in der Bundesliga spielten und gerade den Klassenerhalt geschafft hatten, sagte ich einmal: “Das wird nur eine Episode bleiben!” Ich sagte aber nicht wie lange. Danach hat’s intern geknallt. Mir wurde übel genommen, dass ich das so deutlich angesprochen habe. Da ging ein Sturm los, das kann man sich nicht vorstellen.
db24: Zwei Jahre konnte sich Haching im Oberhaus halten…
Wir kannten unsere Möglichkeiten. Trotz Toni Schrobenhauser, der leider viel zu früh verstorben ist, hatten wir ein ganz schmales Budget. Das kann man nicht mit Kiel oder Heidenheim von heute vergleichen. Uns fehlte im Schatten der Bayern und 1860 die Wirtschaftskraft - und trotzdem hatten wir eine Duftmarke hinterlassen. Es war ein Fußball-Märchen. Ich werde das nie vergessen, als wir am letzten Spieltag gegen Leverkusen gewannen und damit Bayern 2000 zum deutschen Meister machten. Christoph Daum, dessen Co-Trainer ich in Stuttgart war, hatte als Leverkusen-Trainer die Hand schon an der Meisterschale…
db24: Während die Bayern weiter die Nummer 1 im deutschen Fußball sind, haben 1860 und Haching mit sportlichen und wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen, spielen nur noch drittklassig…
Ich kann mich noch gut an ein Telefonat mit Werner Lorant erinnern, nachdem ich im September 2001 in Unterhaching entlassen wurde. Er sagte mir: “Und ich werde der Nächste sein! Und dann schmeißen sie uns aus der Arena raus!” Mit großem Abstand sage ich heute: Es war ein großer Fehler, Werner zu beurlauben. Werner war Sechzig! Es ist natürlich traurig, was aus den Löwen geworden ist. Ich würde mir wünschen, dass 1860 zumindest wieder in die Zweite Liga aufsteigt. Die Leute hängen an dem Verein, 1860 ist ein Klub des Volkes. Aber der Verein braucht eine Führung - und das, was man aus der Ferne mitbekommt, spricht nicht für 1860. Kein Präsident, kein Geschäftsführer, kein Spieler ist größer als der Verein. Solange Egoismen die Bühne beherrschen, wird das nichts. Die Leute müssen im Sinne von 1860 handeln. Der Fortschritt darf nicht behindert werden. Im Moment ist das Betrug am zahlenden Mitglied.
db24: Das Grünwalder Stadion spaltet die Löwen-Fans.
Sind wir doch mal ehrlich: So emotional wie das Grünwalder Stadion auch ist, aber so kontraproduktiv ist es für die Zukunft. Es gibt keine großen Möglichkeiten, das Stadion mitten im Wohngebiet auszubauen. Heutzutage geht es um Parkplätze, Businessbereiche und Modernität. 1860 darf nicht an einem Stadion hängenbleiben - und verpasst gleichzeitig die Zukunft. Ich würde zunächst in Beine investieren, damit du Ablösesummen generieren kannst. So wächst die Chance, dass irgendwann ein neues Stadion automatisch kommt. Ich glaube, 1860 ist der einzige Verein, der sich so an einem Stadion klammert. Schauen Sie nach Mönchengladbach oder Karlsruhe, diese zwei Klubs standen auch für ihre Wohnzimmer. Redet heute noch einer vom alten Bökelberg oder vom alten Wildpark?
db24: Wie lautet Ihre sportliche Einschätzung zu 1860?
Ich habe die Löwen in Großaspach gesehen. Um mich herum haben die Fans gemosert, das hatte mich schon gewundert. Die Talente des VfB Stuttgart waren beweglich, explosiv und wuselig. Das war genau das Spiel, das 1860 früher ausgezeichnet hat. Obendrein haben die Löwen gejammert, dass ihnen so eine Härte von den Stuttgarter Bubis entgegengebracht worden ist. Ja, und dann habe ich das 2:3 gegen Wiesbaden bei MagentaSport gesehen: Mit einfachen Mitteln wurden die Punkte aus Giesing entfernt, 1860 wurde abgekocht. Wobei man jetzt wissen muss, dass Wiesbaden nicht mehr die Klasse wie vor zwei Jahren hat. Ich wünsche mir für Sechzig, dass sie einfach und erfolgreich spielen. Das Grünwalder Stadion muss eine Festung sein. Es kann nicht sein, dass 1860 bereits vier Heimspiele in dieser Saison verloren hat.
db24: Und Haching?
Manni Schwabl macht in Unterhaching sehr gute Arbeit, forciert die Jugendarbeit. Manni hat das alles an sich gerissen, auch eigenes Geld drin. Jetzt muss er dafür auch die Verantwortung tragen. Ich finde es gut, dass es noch Menschen gibt, die das Risiko auf sich nehmen. Das verdient meinen Respekt. Dem Verein fehlt die Wirtschaftskraft, das war zu meiner Zeit auch nicht anders. Mittelfristig traue ich Haching auch mal wieder die Zweite Liga zu. Ich freue mich immer, wenn Haching und 1860 gewinnen.
db24: Wer ist am Sonntag Favorit?
Man könnte es sich jetzt einfach machen und sagen: Ja, Sechzig ist der Favorit! Aber wie wir aus der Vergangenheit wissen: Das kleine Haching wächst in diesen Spielen über sich hinaus. Vor allem im Sportpark ist Haching immer für eine Überraschung gut. Werner Lorant hat mir früher immer gesagt, er spiele nicht gern gegen Haching. Ich kann das nachvollziehen (lacht). Ich kann das Spiel leider wegen einer Familienfeier nicht anschauen, aber ich werde es mir natürlich aufnehmen.
db24: Waren Sie jemals Kandidat bei 1860?
Ja, einmal: Bevor Werner Lorant 1992 verpflichtet wurde, gab´s Gespräche mit den Löwen. Ich war damals Co-Trainer von Christoph Daum beim VfB Stuttgart. Ich wäre hin, aber unser Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder, sagte zu mir: “Was willst du denn bei Sechzig? Du bleibst beim VfB!”
db24: Sie sind jetzt 72. Juckt es Sie, noch einmal auf die Trainerbank zurückzukehren?
Ich muss jetzt etwas länger ausholen: Felix Magath wollte damals einen Trainer für den Nachwuchsbereich, der die jungen Spieler für ihn vorbereitet. Ich hatte mir damals nie vorstellen können, mit jungen Spielern in Wolfsburg zu arbeiten: Felix ging nach Schalke und ich war dann einige Jahre dort. Wir haben uns gegenseitig befruchtet. Wenn ich heute manchmal auf der Tribüne sitze, dann juckt es mich. Ich sage es immer wieder: Wenn eine Aufgabe kommt, die mich begeistert, dann bin ich bereit - liga-unabhängig! Ich bin aber weiterhin ein Trainer, der die Spieler den Berg hochtreibt, damit sie auch die andere Seite des Tals sehen.