Die Kampagne Bierofka
- VON OLIVER GRISS
- 23.05.2019 08:55
- 504 Kommentare
VON OLIVER GRISS
Es war nach dem 0:4 in Jena, als Vize-Präsident Hans Sitzberger in den parkenden Mannschaftsbus am Ernst-Abbe-Sportfeld stieg - und wie ein Löwen-Profi db24 berichtete - Daniel Bierofka im Namen des Präsdiums nachträglich zum Klassenerhalt in der Dritten Liga gratulierte. Kurz und schmerzlos soll’s gewesen sein, nachdem Präsident Robert Reisinger eine Woche zuvor beim 3:2 gegen Fortuna Köln verpasste, auf den wichtigsten 1860-Botschafter zuzugehen. Stattdessen drehte Reisinger eine Stadionrunde - über den Platz und am Fanzaun, um sich vor seiner Klientel in Szene zu setzen. Hinterher hakte db24 bei Bierofka nach: Hat denn Reisinger gratuliert? Bierofka zögerte kurz und sagte dann: “Er hat sich bestimmt über den Klassenerhalt gefreut…”
Die Beziehung zwischen der aktuellen 1860-Führung und Bierofka ist sprichwörtlich im Eimer - warum eigentlich? Bierofka ist der Typ Mensch, der den Fußball und vor allem 1860 lebt und liebt. 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, 365 Tage im Jahr.
Der 40-jährige Bierofka ist freilich nicht frei von Fehlern, aber ein Geschenk und eine Chance für die Löwen. Er ist einer, der irgendwann in die Fußstapfen des großen Werner Lorant treten könnte - wenn man ihn lassen und unterstützen würde. Das zeigen auch die Sympathiewerte für den ehemaligen Löwen-Kapitän ganz deutlich. Doch genau das ist das Problem: Beim TSV 1860 hat man unter dem Präsidium Reisinger nicht das Gefühl, dass für den Profifußball alles getan wird. Im Gegenteil. Vielmehr steht ein Stadion im Mittelpunkt und die aktive Fanszene, die Wähler. Der Trainer? Die Mannschaft? Sie wirken wie ein lästiges Beiwerk beim “neuen” TSV…
Das Verhältnis zwischen Bierofka und Reisinger ist seit dem Zwangsabstieg 2017 - sagen wir mal so - etwas merkwürdig. Als 1860 im Sommer-Trainingslager in Obertraun war, wunderte sich der Ex-Nationalspieler über das Verhalten der Vereinsseite: “Es gab mit dem e.V. noch keinen richtigen Austausch. Mein Ansprechpartner ist Herr Fauser. Es wäre auch nicht schlecht, wenn Reisinger auch mal mit mir redet. Aber das ist seine Entscheidung. Ich versuche hier nur meinen Job zu machen.” Aussagen, die Robert Reisinger missfallen haben sollen. Die Telefondrähte glühten seinerzeit zwischen Wolfgang Schellenberg und Reisinger heiß. Trotzdem fuhr der Präsident am letzten Tag des Trainingslager mit Sitzberger nach Österreich. Es wurde - immerhin - miteinander geredet. Doch die zwischenmenschliche Basis wurde daraufhin nicht besser. Als im Winter-Trainingslager über Bierofkas Vertragsstatus (er hatte noch den alten Kontrakt als U21-Trainer) diskutiert wurde, sah sich Reisinger wieder im Kreuzfeuer der Kritik. Es kam nach der Rückkehr in Giesing wieder zu einem Gespräch zwischen Trainer und Präsident. Der Vertrag wurde aber nicht umgeschrieben, stattdessen wurde - von welcher Seite auch immer - falsche Zahlen in der Öffentlichkeit lanciert.
Als dann Bierofka im Sommer 2018 den sofortigen Wiederaufstieg realisierte, warf sich Reisinger Bierofka entgegen. Umarmte den Trainer. Doch auf Gegenliebe stieß diese Aktion nicht. Zuviel war passiert. Zuvor trafen sich Bierofka und Günther Gorenzel am Meister-Wochenende in geheimer Mission mit Mehrheitsgesellschafter Hasan Ismaik, dem 60-Prozent-Eigentümer, und dem heutigen Aufsichtsratsvorsitzenden Saki Stimoniaris im Münchner Charles-Hotel. Ismaik wollte dem Löwen-Doppel gratulieren. Reisinger fühlte sich vermutlich verschaukelt, weil Bierofka/Gorenzel ohne sein Wissen Ismaik besuchten. Später sagte der Unternehmensberater aus Kirchheim, nachdem er zuvor der Konsolidierungskurs eingeläutet hatte, gegenüber dem “Wochenanzeiger”: “Ich glaube nicht, dass die beiden in jedem Moment verstanden haben, was da gerade passiert. Sie wollten das Beste für sich und den Klub und dachten, sie könnten den Tiger reiten. Aber auch sie haben ihre Lektion gelernt.” Welche Lektion Reisinger meinte, ist bis heute nicht geklärt. Später verhandelte Stimoniaris einen Vier-Jahres-Vertrag für Bierofka und eine Finanzspritze in Form von zwei Millionen Euro für die Mannschaft aus.
Wer ist wichtiger für 1860?
Teilnehmer: 5369
Danach sahen sich Bierofka und Gorenzel im Verein immer wieder Kampagnen ausgesetzt. Während Bierofka im Fanheft “Brunnenmiller” angegriffen und sein Stil hinterfragt wurde, bekam Gorenzel, nachdem er auf die schwere wirtschaftliche Situation hingewiesen hatte, ein Plakat der aktiven Fan-Szene geschenkt - der Titel: “Gorenzel, mach deine Arbeit!” Das Klassenziel wurde unter schwersten Bedingungen trotzdem erreicht. Doch die Nadelstiche werden heißer und heißer. Reisinger wünscht sich Kreativität von Bierofka. Zudem hat der Präsident dem Trainer unterstellt, dass er nicht langfristig, sondern nur kurzfristig an 1860 denke.
Der “Wochenanzeiger”, Reisingers Hauspostille, befeuert dieses Szenario: Ralph Drechsel (Künstlername: Alfons Seeler) macht allein die sportliche Kommandobrücke dafür verantwortlich, dass 1860 kein Geld mehr zur Verfügung hat. Dabei ist für die Finanzen allein Geschäftsführer Michael Scharold zuständig. Jeden Transfer musste zudem der Aufsichtsrat (auch Reisinger war in diesem Gremium bis zum 31. Januar dabei) genehmigen. Doch Reisinger wird sich vermutlich auch hier wieder nicht vor Gorenzel/Bierofka stellen, sondern sich aus der Verantwortung ziehen.
Die große Frage, die alle Löwen-Fans jetzt beschäftigt: Wie lange tut sich Bierofka diesen Irrsinn in Giesing noch an? Die Gefahr ist jedenfalls groß, den Trainer zu verlieren.
Zwischen 00:00 Uhr und 06:00 Uhr können keine Kommentare verfasst werden!